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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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übermäßiges Verständnis ab.“ Auch wenn er nie so richtig die Bedeutung der Aussage verstanden hatte, sah er jetzt, was gemeint war. Tatsächlich, sein Kanzler strotzte vor Mittelmäßigkeit, die er, mit welcher Begründung auch immer in Genie übersetzte. Sein Anspruch führte ihn in höhere Gefilde, das allein war sein Ziel. Der Schritt zum Wahnsinn war nicht mehr weit.
    In seiner Selbstbeleuchtung hatte H.B. die Anwesenheit des Neffen völlig vergessen. Er entwickelte gerade die Wege zu seiner neuen Weltregierung. Als redete er zu sich selbst, legte er vor Schütz seine Gedanken dar.
    „Das grüne Unkraut ist schon wieder auf dem Vormarsch. Ihnen hat gerade eine Gesundheitskrise, wie diese gefehlt. Jetzt versuchen sie erneut, Fuß zu fassen. Wenn sie Erfolg haben, und sich mit den Roten zusammentun, könnten sie unseren nächsten Wahlsieg gefährden. Wo bleibt die Supraregierung unter meiner Führung in Europa? Wo bleibt die Konföderation mit Amerika? Wie kann ich die Wünsche der Amerikaner erfüllen, ihr Führer zu sein? Wie kann ich auch nur andenken, eines Tages einer Weltregierung vorzustehen? Wie kann ich die Menschen mit den Gewinnen der Pharmazeuten beglücken, sie auf Abruf fröhlich und zufrieden machen? Wie soll das alles geschehen, wenn mich in diesem unserem eigenen Land ein paar verspinnerte Grüne zu Fall bringen?“
    H.  B. schwieg, schaute aus dem Fenster hinaus. Nur einmal hatte er Schütz angeschaut. Den unverständlich erstaunten Ausdruck im Gesicht seines Neffen hatte er als bewundernde Zustimmung interpretiert. Der allerdings sagte sich zum wiederholten Male, noch niemals hatte der Kanzler so richtig definiert, was er unter den Zielen für das Volk verstand.
    H.  B. hatte seine Wanderung und seine Gedanken wieder aufgenommen. Seine hängenden Wangen und die tief liegenden Augen waren auf sein hohes Alter zurückzuführen, die bei Schütz Bewunderung hervorriefen. Verwunderung aber lösten bei ihm die Gedanken des Alten aus. Unter diesem Aspekt nahm er in den über die Unterkiefer hängenden Wangen und die dunklen Augen den verwesten Leichnam des Buchhalters wahr. Mit diesem Mann war nicht nur Klingenberg gestorben. Es starben noch mehr, vielleicht sogar er, sein Neffe. Es starb der Glaube an die Politik, es starben die Ethik und die Rechtschaffenheit, es starben, wenn Schütz an die Gefährdung durch Lebensmittelpfuscherei dachte, Hunderte, Tausende oder gar Zehntausende Menschen. Eine neue Pestwelle rollte heran, verursacht von einem wahnsinnigen Mittelmäßigen.
    „Ich kann es nicht zulassen, dass mit einer zufälligen Erscheinung, wie mit dieser Wahnsinnsseuche, das Menschheitsglück gefährdet wird. Wir haben höhere Ziele. Ein paar Tote an BSE oder der neuen Form der Schmittger sind die üblichen Verluste, die wir in Kauf nehmen müssen. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker.“ Dabei begann er so laut und unnachgiebig zu lachen, dass sich Schütz am liebsten verkrochen hätte.
    Noch eine Frage wagte Jürgen an seinen Onkel zu stellen.
    „Warum soll diese Kampagne über die Partei laufen? Kann sie nicht über das Verteidigungsministerium oder das Gesundheitsministerium finanziert werden.“
    „Erstens müssten wir sie dann wirklich selber zahlen, weil sich in diese Haushalte weniger problemlos Fremdkapital einschleichen lässt. Zweitens aber, weil das die Aufgabe der Partei ist, hier geht es um meine Wiederwahl.“
    „ Einhundert Millionen, 500 Millionen oder mehr, wenn notwendig in die Forschung gesteckt, brächten Gesundheit für das Volk und Ansehen für dich.“
    „Nur zu spät, mein Freund. Nur zu spät. Ich habe es zuvor erklärt. Selbst meine Freunde wissen noch nicht, was auf sie zukommt. Mit der Nicoclean Einführung ist uns Dietrich gewogen. Wir nutzen die Gunst der Stunde. Deine Aufgabe ist es, der Partei zu dienen. Das Gespräch ist beendet.“
    H.B. verließ mit flatternden Rockschößen den Konferenzraum. Sein vorbeiziehender wuchtiger Körper riss die Gedanken des Zurückbleibenden mit sich wie eine Feuerwalze. Schütz starrte aus dem Fenster in den Kanzlergarten. Dorthin hatte der Chef sein Weltbild gemalt. Weder seine Betrachtung über die verbrecherischen Machenschaften noch sein Weg, den er gehen wollte, hatten sich geändert. Nur die Dimensionen. Happy Hour , Nicoclean und BSE, das passte zusammen. In allen Fällen ging es um die Gesundheit des Volkes, mit der sowohl Regierung als auch Industrie spielten.
     
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    Die

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