Der Kofferträger (German Edition)
Millionen in der Wäschetruhe der Kanzlerfrau? Irgendwo mussten sie doch einmal zutage gefördert werden. Irgendwo im Safe oder zu Hause unter dem Teppich mussten sie versteckt sein. Warum konnte er die wirklich wichtigen Beweisstücke nicht finden? Wer Ohren hat, der höre, wer Augen hat, der sehe, wer einen Grips hat, der denke, ergänzte er seine strategischen Aktivitäten.
Das Büro des Kanzlers öffnete sich ihm wie eine Suite. In einem großen Raum mit verschiedenen Sitzecken prangte der Palisanderschreibtisch wie eine Billardtafel. Den Blick aus dem Fenster, in den Kanzlergarten auf dem anderen Spreeufer, gönnte er sich nur für einen kurzen Moment. Wie ein Fluggerät aus einer anderen Galaxis leuchtete ihm das gewaltige Gerät von dort entgegen, zeugte von einer elektronischen und mechanischen Höchstleistung. Ob es auch eine geschmackliche war, ließ sich bestreiten. Auf hydraulischen Stelzen gebockt, galt der riesige Zeppelin als die am meisten bewunderte Attraktion in Berlin. Zumindest bei ausländischen Besuchern schlug er die Attraktivität der Reichstagskuppel um Längen. Das monströse Ding bildete eine Einheit aus drei verschiedenen Teilen. Den Mittelblock beherrschte das überdimensionierte Restaurant und wirkte dennoch für den einzelnen Gast klein und gemütlich durch seine halbhohen Bänke, die stets mit frischen Blumen bepflanzt waren. Bis zu tausend Personen konnte es bewirten. Mehr noch als das mittlere Restaurant wurden die Spitze und das Schwanzteil des scheinbar fliegenden Gerätes bewundert. Es waren die gläsernen Aufzüge, in denen Gäste und Besucher auf und ab fahren konnten. Unter dem nahezu frei schwebenden Mittelteil hing das übliche Passagierschiff, in dem bei den früher reisenden Versionen die Gäste unterkamen. ‚Theatropolis‘ prangte in riesigen Lettern auf dem schwebenden Korb. Eine Reihe von Kinosälen und ein großes Theater luden die Gäste ein. Sowohl aus dem Restaurant als auch vom Boden aus saugte der Zeppelin mit seinen Aufzügen in einem fort die Menschen auf und spuckte sie wieder aus. Noch einmal warf Schütz einen Blick auf die unsichtbaren Glasstützen, in denen sich die farbigen Lichtstrahlen brachen, als kämen sie aus einer anderen Welt. Die an sich schweren Rohre der Konstruktion wirkten spielerisch leicht. Anstelle des Auf und Ab der Zeppelinnase und des Schwanzteils glaubten die Betrachter, den Start oder die Landung des ganzen Zeppelins wahrzunehmen. Auf eine längere Betrachtung dieses Zeppelins musste er jetzt verzichten. Außerdem war er schon dabei, die Jalousien, wie üblich herunterzulassen.
Erneut durchkämmte er jede zugängliche Schreibtischschublade, jeden Schrank und jeglichen Aufbewahrungsort, an den er herankam. Dann stockte sein Atem, sein Herz schlug bis zum Zerbersten und rot leuchtend trat die Halsschlagader hervor. Ein kleiner flacher Terminkalender fiel ihm wie ein Findling aus einem Aktenhefter in die Hände. War er es, der die Geheimnisse der Geldverteilung beinhaltete und ihn endlich ein Stück weiter führte? Der erste Blick enttäuschte ihn. Jeder Tag des Jahres fasste nur eine einzige Zeile. Beschrieben mit nur wenigen Zahlen und Buchstaben. Bei genauerem Hinsehen glaubte er anstelle des ersten Durcheinanders eine systematische Buchführung zu erkennen. Er musste nur, einem Dechiffriercode gleich, die verschiedenen Inhalte zuordnen. Ein Vergleich mit den Angaben von Edmund Vogel brachte ihn der Wahrheit näher. „April die Kreise in Südsachsen, im Juli die Kreise in Mecklenburg und im September die Kreise im Saarland“, hatte Edmund verlauten lassen. Er nahm sich zunächst den April des vergangenen Jahres vor. Am 12. April fand er eine Notiz. Dort las er ‚Termin: 6.00 Uhr, Wernecke‘, dahinter ein Häkchen. 16. April, Termin: 10.00 Uhr, Müller-Herrmann‘, Häkchen, 21. April, Termin: 12.00 Uhr, Meyer-Grünfeld‘, Häkchen. Eine Kontrolle des Juli und des Septembers zeigten ähnliche Daten. Schütz hielt den nüchternen Terminkalender in Händen, als kniete er vor einer Schatztruhe. Er stellte sich die Frage, ob das alles richtig war, was er tat?
Und blätterte doch weiter. In dem Zweijahreskalender war auch das neue Jahr enthalten. Wie sahen die anderen Zeiten aus? Hier, am 5. Mai war die PCD interne Sitzung über das MESF-Produkt gewesen. Schon am 9. Mai fand er die Notiz unter dem Dienstag. Termin: 12.00 Uhr, R. Schmidt‘ und das besagte Häkchen. Es handelte sich also nicht um die eingetragene Uhrzeit eines
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