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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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Termins. Die Uhrzeiten plus zwei Nullen beinhalteten die übergebenen Bargeldbeträge mit Namen des Begünstigten. R. Schmidt war der glückliche Empfänger von 120.000 DM in bar am 9. Mai gewesen. Es handelte sich um Geld, das aus dem fünf Millionen Paket, besser aus den zehn Millionen des Dr. Dietrich der MESF AG stammte. Der Betrag zeigte seine Lenkungseigenschaften. Wieder hatte der Kanzler an der Leine gezerrt und seine Hunde in die gewünschte Richtung gelenkt. Dem Amtspräsidenten war dadurch persönlich ein kräftiger Anschub verpasst worden, eine Summe die Brauneggers fünfte Kolonne fütterte.
    Schütz steckte das Büchlein in seine Jackentasche und kehrte in sein Büro zurück. Sicherheitshalber rief er den Nachtwächter an.
    „Jupp ich erwarte noch einen Gast, hat er sich schon gemeldet?“, fragte er scheinheilig.
    „Nein, leider nicht. Die ganze Zeit über war niemand hier. Ich informiere Sie selbstverständlich.“
    „Sie wissen, wie wichtig das ist. Ich habe vertrauliche Unterlagen zu bearbeiten.“
    Sorgfältig kopierte Schütz jede einzelne Seite. Den kleinen Taschenkalender hatte er schon längst zurückgebracht und die Jalousien in die Ursprungsposition gefahren, dann heftete er die Seiten in seinen kleinen Ordner und schrieb noch einmal die Beträge auf. Er kam ab Januar des vergangenen Jahres auf sechs Millionen einhundertzwanzigtausend DM. Geld, das an der Parteikasse vorbei geflossen war. Geld, das rechtswidrig nicht im Rechenschaftsbericht zu finden war. Geld, das direkt mit einer politischen Entscheidung im Zusammenhang zu sehen war. Geld, mit dem sich der Parteivorsitzende und Kanzler das Wohlwollen des Clans erhalten hatte. Von diesen Dingen zu wissen, könnte tödlich sein für Jürgen Schütz. Ein Fehler von ihm, und er würde das Zeitliche als erhängter Selbstmörder segnen.
    Sorgfältig verbarg er seinen eigenen Hefter an eine m, wie er überzeugt war, unauffindbaren Ort. Nachdenklich hockte er noch an seinem Schreibtisch, als seine Bürotür von einem Sturmwind aufgerissen wurde. Wie ein drohendes Ungeheuer füllte die Statue des Alten den Türrahmen.
    „Was machst du noch hier?“, rief der Kanzler mit unnachahmlicher Lautstärke. Die Worte trafen den Angesprochenen wie Keulenschläge in den Nacken. „Wartet deine Frau nicht sehnsüchtig auf dich zu Hause?“ Dann lachte er dröhnend, weil ihm der üble Scherz mit der Überraschung gelungen war. Jürgen war zusammengezuckt.
    Seiner Angewohnheit gemäß hatte er einen Haufen Papiere vor sich liegen, und ein ganz besonderes hatte er in Bearbeitung.
    „Na, hier“, entschuldigte er sich zu unterwürfig, „ein paar Eingänge. Ich dachte, das würde einmal irgendwie weniger. Anstatt dessen laufen immer mehr Spenden ein. Das hört ja niemals auf.“
    „Hör wenigstens für heute auf, mein Junge“, empfahl der Alte väterlich. Bedächtig zog er einen Gästestuhl an den Schreibtisch des Neffen heran und plauderte munter darauf los.
    „Als Pfadfinder war ich viele Jahre lang Mitglied einer Kanugruppe. Wir fuhren regelmäßig im Sommer auf die Ardèche und stürzten uns den wilden Wasserlauf hinunter.“
    Skeptisch schaute ihn Schütz von der Seite an. Der Alte lachte wieder, als hätte er an diesem Tag ein ganz besonders gutes Ereignis hinter sich gebracht. „Ja, ich verstehe“, grinste er breit über seine Wangen, und seine noch gesunden Zähne blitzten im Schein der Schreibtischlampe.
    „Heute würde mein breites Kreuz nicht mehr in ein Kanu passen, geschweige denn, dass ich das Gleichgewicht halten könnte.“ Genüsslich strich er sich dabei mit seinen Händen über seine Pobacken, die rechts und links über den Stuhl hinausragten.
    Meint er damit sein Kreuz, fragte sich Jürgen.
    „So eine Kanufahrt ist wie das wirkliche Leben. Es gilt immer, das rechte Gleichgewicht zu halten. Gleichgültig, wie die starke Strömung verläuft, manchmal muss es auch gegenan gehen. Wichtig ist, das gesetzte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, stets zu wissen, wo man die Ruder eintaucht, wann man rudert und wann man bremst. Manchmal musst du dich sogar bei anderen abstützen. Nie aber zu weit aus dem Boot lehnen, es wird mit Sicherheit kentern.“
    Wie die peitschende Einweisung des Kanoniers durch den Spieß überfielen die Ratschläge Jürgen Schütz. Waren es Zufallsworte, gezielt angebrachte Mahnungen oder gar Warnungen? Niemals überließ der Alte etwas dem Zufall, so würden auch in diesem Fall die vorgetragenen Lebenserfahrungen

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