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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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ging er wie selbstverständlich zwischen der Auffahrt für die Rollstuhlfahrer und der Rampe auf ein darunter liegendes Tor zu. Unter dem Säuleneingang zum Reichstag verbargen sich hinter einem Metallgittertor dunkle Fluchten. In diesem Eingang wachte in einem kleinen Häuschen ein Pförtner, der sich zur anderen Seite des Kellerausgangs gewandt hatte. Mit klopfendem Herzen versuchte Schütz, sieben Meter hinter dem Rücken des Wächters den richtigen Schlüssel heraus zu fingern. Die lebensfrohen Rufe und Unterhaltungen der Touristen saugten seine eigenen Geräusche auf. Der dritte Schlüssel ließ sich weich in das Schloss schieben, und mit einer Umdrehung öffnete er die Tür. Um ihn herum wirbelten die Besucherströme, die sein Tun unbeachtet ließen. Hoffentlich quietschte die Tür nicht. In diesem Augenblick drehte sich der Wachposten um, stutzte und starrte Schütz fragend in die Augen. Ohne die Umgebungsgeräusche hätte der Mann den Herzschlag hören können. Spontan lächelte Schütz über sein ganzes Gesicht und nickte dem Wächter freundlich zu. Der Wachmann nickte zurück. Mit einem kurzen Tipp seiner rechten Hand an seine Mütze wendete er seinen Bürostuhl und schaute schon bald wieder in die entgegengesetzte Richtung. Ohne sich weiter nach irgendwem umzuschauen, drückte Schütz die Klinke zügig hinunter und schob das Tor auf. Gartengeräte, Schubkarren und einige Fässer lagen herum. Im hinteren, dunklen Teil des Lagers stieß er auf eine Tür mit der Aufschrift „Zutritt für jedermann verboten – Lebensgefahr.“ Ein anderer Schlüssel aus seinem Bund passte. Hinter sich zog er die Tür wieder zu, schloss sie aber nicht ab. Er hielt sich einen Rückzug auch ohne Schlüssel offen.
    U nversehens war er in eine stockdunkle Nacht abgetaucht. Die Stille einer verbotenen Welt umfing ihn. Das Pochen seiner Adern signalisierte ihm Gefahr.
    Nach der obersten, breiten Stufe stürzte eine steile Treppe in unterirdische Gefilde, wie er noch beim Eintritt an dem schwächer werdende n Licht durch die halb geöffnete Tür erkannt hatte. Erst jetzt holte er seine wasserdichte Taschenlampe aus der Gürtelhalterung. Der Lichtschein tastete sich an kahlen Wänden und feuchten Stufen hinab in eine finstere, unbekannte und unheimliche Welt. Auf den schmalen, hohen Stufen setzte er seine Schritte sorgfältig einen vor den anderen, um nicht bei der zunehmenden Nässe auf dem glitschigen Boden auszurutschen. Nach ein paar Metern schwenkte die Treppe nach rechts. Hinter und vor ihm nur noch schweigsame Betonstufen einer seit Jahrzehnten unberührten Welt.
    Wie ein drohender Zeigefinger ob seines verbotenen Tuns ermahnte ihn ab und zu das ‚Plitsch‘ eines fallenden Wassertropfens. Eine durchdringende Kühle griff nach ihm und ließ ihn erschauern. Wände und Stufen waren vom Zahn der Zeit und den Wechselbädern von Kälte und Nässe angenagt worden. Einzelne Brocken hatten sich aus dem Putz gelöst, bevölkerten die schmalen, nassen Tritte, gefährdeten jeden Schritt des Eindringlings. Gurgelnde Wassergeräusche um ihn herum, aus der Decke über ihm, den Stufen unter ihm und den Wänden neben ihm flößten ihm Angst ein. Unwillkürlich zog er seinen Nacken ein, zerrte die Wetterjacke enger um seine Schultern. Die Unsicherheit über das was ihn dort unten empfangen würde ließ seine Anspannung hochschnellen. Ungewohnt war die wechselnde Höhe der Stufen, vielleicht dreißig Zentimeter, manchmal mehr, manchmal weniger. Abgebrochene Kanten und immer wieder das Geröll auf den Tritten ließen ihn mehr als einmal stolpern. Längst hatte er es aufgegeben, sich an dem lockeren Handlauf festzuhalten.
    Nach der Anzahl der gezählten Stufen musste er nahezu fünfzehn Meter unter der Erde sein, und noch immer ging es weiter hinab. Das Gurgeln schwoll zu einem Rauschen an und auf einmal reflektierte der Schein seines tragbaren Lichts Wasser. Nicht nur Nässe und Feuchtigkeit, wie auf den Stufen bisher. Ein fließender, kalter, unterirdischer Wasserstrom, wie aus den Tiefen des Hades, saugte sein Licht auf. Ein falscher Tritt, ein kleiner Ausrutscher war gefährlich genug. Nun kam Wasser hinzu, von dem er nicht wusste, woher und wohin es floss. Noch erkannte er das Ende der Treppe und ein ebener Boden führte auf dem Grund des Wassers nach rechts in einem rechten Winkel. Wie würde es dahinter weitergehen? Gab es die Möglichkeit, dort das Wasser zu verlassen? Was wäre, wenn zwischenzeitlich die Fluten steigen und ihn an die

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