Der Kofferträger (German Edition)
das prickelnde Gefühl und den kalten Schauer, der ihm über den Rücken lief. Dann badeten ihn die bösen Geister in kaltem Schweiß.
Die Gedanken schauderten ihn, und Schütz sehnte sich nach dem Tageslicht, nach dem wärmenden Antlitz eines Menschen.
Er verließ das Archiv.
Der gepflegte Gang, der sich entgegengesetzt zu seiner Fluchtrichtung hin öffnete, verführte ihn, diesem Weg zu folgen. Wie Kanäle schlängelten sich die Röhren tief unter der Erde entlang. An nummerierten Steckdosen orientierte er sich, bis er zu einer nach oben steigenden Treppe gelangte. Über die mit einem festen Geländer versehene Treppe stieg er nach oben, den Kellerräumen entgegen.
Tatsächlich mündete die steile Treppe in einen breiten Gang, der am Ende nur eine einzige Tür aufwies. Sie war verschlossen. Ein sauberes, sicheres Zylinderschloss verhinderte den Ausgang. Schütz horchte an der Tür. Außer den summenden und gurgelnden Geräuschen von Pumpen und Klimageräten konnte er keine menschlichen Stimmen wahrnehmen. Schon wollte er wieder umkehren, da erinnerte er sich des Geheimnisses von Brutus. Er angelte den Schlüssel aus seiner Tasche, hielt ihn wie ein heißes Eisen in seiner Hand und betrachtete ihn einige Sekunden lang im Schein seiner Lampe.
Vorsichtig schob er ihn in den Zylinder, und mühelos ließ sich das Schloss öffnen. Zunächst nur einen winzigen Spalt, dann ein wenig mehr, schob Schütz die Tür auf. Sollten die Scharniere ein Geräusch von sich geben, so ging es unter im Rasseln und Rauschen von Klimaanlage und Wasserpumpen, von Ventilatoren und Druckventilen. Sein erster Blick zeigte ihm den Technikraum, der seinen Platz unterirdisch zwischen Kanzleramt und Spree gefunden hatte. Unter der Erde hatte Schütz den Weg vom Reichstag bis zum Kanzleramt zurückgelegt. Der Weg nach draußen aber führte unweigerlich an dem Wartungsdienst vorbei. Selbst wenn er dieses erste Hindernis überwunden hätte, müsste er die Treppen hochlaufen und dann könnte er dem Sicherheitsdienst in ihren eigenen Räumen ‚Guten Tag‘ sagen. Es war sicherer den gleichen Rückweg anzutreten.
Gruselnd und schaudernd vor Kälte verschloss er die Tür.
Wenn er unbemerkt aus dem Lagerkeller herauskommen wollte, müsste er die Katakomben noch inmitten d er starken Besichtigungsgruppen verlassen.
Schütz sicherte seine Kamera mit den Chips in einer wasserdichten Plastikhülle, steckte sie in seine innere Jackentasche, die er mit einem Reißverschluss zusperrte. Käme er hier unbeschadet wieder heraus? Mit welchem Ergebnis aus den fotografierten Seiten könnte er rechnen?
15 Die Fratze der Hexe
Dem unterirdischen Läufer sollte es nicht erspart bleiben, wieder durch das knietiefe Wasser in dem weit hinten liegenden Gang mit einfrierenden Muskeln zu waten. Die Nummern der Steckdosen und später seine eignen Markierungen an den Wänden halfen ihm, seinen Weg zurückzufinden. Schon längst war er an der Tür der unermesslichen Lagerhalle vorbei.
Schnell überwand er die Strecke bis zur absteigenden Treppe, um die Stufen hinab in den tiefer liegenden Gang zu gehen. Beängstigende Geräusche liefen ihm von dort unten entgegen.
Wasser!
Ein Wassereinbruch in dem einzigen Fluchtgang. Trotz der trockenen Tage zuvor. Oh geheimnisvoll sind die unterirdischen Wasserläufe.
In dem engen Treppenflur pfiff und rauschte es hinter den Betonwänden, als befände er sich an den Überlaufschotten eines Kraftwerksees. Lange könnten diese seit vielen Jahren durchweichten Wände dem Druck sicher nicht mehr standhalten. Bis sich die Elemente, die sich gegen ihn verschworen hatten, mit einem Schlag einen Weg durch die Mauern brachen und ihn mit sich hinweg rissen.
Er handelte schnell, stieg vorsichtig weiter abwärts um seinen völlig überschwemmten Fluchtweg zu erkunden. Vier, fünf Stufen vor dem rauschenden Wasser hielt er an und ließ noch einmal das tastende Licht die nassen Stufen nach oben wandern.
Als er sich erneut dem Wasser zuwandte, traf sein Lichtschein das starre Antlitz einer hakennasigen Hexe, die, in ein schwarzes, tropfnasses Tuch gehüllt, den strömenden Felsquellen entstieg. Dem Forscher aus den Katakomben deutscher Geschichte fuhr die Leichenstarre in die Glieder. Für einen Augenblick zeigte er sich unfähig jeglicher Handlung. Das Hexengesicht war nicht überrascht, so als hätte es mit seinem Kommen gerechnet. Es erhob sich gerade wie Poseidon aus den Fluten und kroch Schütz mit einem teuflischen Grinsen
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