Der Kofferträger (German Edition)
Überraschungsangriff von Kanzler und Anita zum Opfer gefallen?
Mit gerunzelter Stirn, auf der sich eine Menge Fragen abzei chneten, schaute er auf die ungeklärten Objekte. Noch immer wusste er nicht, was er dazu sagen sollte. Allein, was er bis jetzt sah, überstieg die finanziellen Möglichkeiten seines eigenes Einkommen um ein Vielfaches.
„Jetzt kommt das Schönste“, jubelte sie. „Schließe die Augen, ich führe dich.“
Für Jürgen konnte es keine Überraschung mehr geben. Korrupter, als sie sich bis jetzt zeigte, konnte seine Welt nicht mehr werden. Er schloss die Augen und vertraute sich vollends ihrer Führung an. Er spürte, wie es auf das Holzhaus zu ging und Anita eine Tür öffnete. Dann rief sie:
„Öffne die Augen.“
Erst langsam konnte er sich an das Halbdunkel gewöhnen. Dann aber zeichneten sich die Konturen der Überraschung deutlich ab.
Vor ihm erhob sich eine wunderschöne, schneeweiße Yacht in unglaublichen Ausmessungen. Mehr als zwölf Meter lang, mehr als drei Meter fünfzig breit. Sprachlos, ohne alles gesehen zu haben, wandte er sich mit Tränen in den Augen an seine Frau. Anita posierte mit einem stolzen und strahlenden Lächeln vor ihm in dem weichen Tuch aus Hawaii.
„Das alles gehört dir“, rief sie mit weit ausgebreiteten Armen.
Es war nicht einfach zu begreifen. Willenlos blickte er wie ein verwunschener Prinz von ihr auf die Yacht und wieder zurück auf sie. Wie sollte ein Mensch das in kürzester Zeit erfassen?
Schon als Schüler, noch mehr als Studenten waren sie verliebt am Bodensee gesegelt. Die dalmatinische Küste in Kroatien, Sizilien und Korsika, ja das ganze Mittelmeer nannten sie ihre Heimat. An all diesen Gestaden hatten sie ihre Anker geworfen, hatten sich bei Sonnenfahrten und beim Sturmabsegeln erprobt. Dabei hatten sie gelernt, wie sie sich aufeinander verlassen konnten. Der Liebe schönste Erinnerungen hatten sie in einem Sturm umtosten Schiff gekostet.
Es konnte nicht wahr sein. Es durfte nicht wahr sein. Nun dieses hier. Eine Yacht, ein richtiges Schiff, mit dem könnten sie, wenn sie die Zeit dazu einlud, um die Welt segeln. Das alles sollte schon jetzt ihm gehören? Es war unfassbar, unglaublich.
„Anita küss mich“, flehte er, „befreie mich aus dieser Verzauberung und bring mich in mein Leben zurück.“
„Vielleicht hat dich die Erfüllung deiner Wünsche verzaubert“, sie küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. „Das aber ist deine Wirklichkeit. Das alles ist dein“, wiederholte sie, als zitiere sie den Satan aus der Verführung Christi in der Wüste Israels. Mit einer generösen Handbewegung überreichte sie ihm die Eigentümerschaft durch den Yachtschein.
Noch immer stand er wie ein zu Weihnachten grenzenlos überraschter Knabe zwischen Anita und dem Segelschiff. Dann löste er die Schuhe von seinen Füssen und kletterte mit geübtem Schwung über die Reling. Er untersuchte alle Details, alle Winkel seines neuen Schiffes. Sie ließ ihn gewähren, wusste, er würde eine Weile brauchen, sich auf dem Schiff zu Hause zu fühlen. Anita hockte sich auf einen Poller in dem Bootsschuppen. Die Yacht war komplett ausgerüstet, nichts fehlte, vor allen Dingen, alles war neu. Jede Schraube, jedes Sitzkissen, jedes Segel war neu. Auf dem Deck liegend begutachtete er den gelegten Mast und die Wanten, die nur noch aufgerichtet zu werden brauchten. Er träumte in den Himmel hinein, sah sich auf einem Ritt über die Weiten des Ozeans. Der Wind summte in den Wanten und das wiegende Rauschen des Bugwassers, einer Walzermelodie gleich.
Die Yacht konn te in dem Bootshaus überwintern. Links und rechts neben dem Schiff boten zwei Stege genügend Platz für ein bequemes Einsteigen. Mein Gott, das alles musste ein Vermögen gekostet haben.
In wenigen Sekunden hatte er die Kosten überschlagen. Mindestens zwei Millionen DM war das Ganze wert. In diesem Moment sah er die Überweisung auf die ‚Intercom AG‘ in dem Licht einer ersten Ratenzahlung auf sein Hobby. Ein eisiger Schauer fuhr ihm über den Rücken, aber er schob schnell alle düsteren Ahnungen beiseite, zu schön war schließlich diese Yacht, die er nun sein Eigen nennen durfte. Welchen Preis würde er dafür bezahlen müssen?
Anita folgte ihm in den Schiffssalon, und er küsste sie zärtlich, wollte sie noch hier auf dem Wasser nehmen. Mit schnellen Windungen entwand sie sich.
„Das alles, Jürgen, gehört dir.“ Musste sie das immer wieder in dem teuflischen Stakkato wiederholen?
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