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Der Kojote wartet

Der Kojote wartet

Titel: Der Kojote wartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tony Hillerman
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Alten verstanden hatte.
    »Ich glaube, ich habe dir schon gesagt, daß Mr. Pinto kaum Englisch spricht«, begann Janet. »Ich habe ihm deinen Besuch natürlich angekündigt, und er erinnert sich an dich. Er will sich weiterhin nicht zum Tathergang äußern, und ich habe ihn aufgefordert, keine Frage ohne meine ausdrückliche Zustimmung zu beantworten.«
    »Okay«, stimmte Chee zu. »Bevor ich zur eigentlichen Frage komme, die ich ihm stellen möchte, muß ich etwas ausholen. Solltest du mal nicht mehr mitkommen, kannst du mich jederzeit unterbrechen.«
    Er wandte sich an Ashie Pinto.
    »Mein Onkel«, sagte er, »du hast wahrscheinlich von Frank Sam Nakai gehört, der das Lied singt, das den Segen bringt, und das Lied von den heiligen Bergen und viele andere heilende Gesänge. Dieser Mann ist der Bruder meiner Mutter, und er hat versucht, mich zu lehren, ein hataalii wie er zu werden. Aber ich bin noch immer ein unwissender Mann. Ich habe noch immer viel zu lernen. Ich habe mir einige wenige Kenntnisse über die Sitten des Heiligen Volkes angeeignet. Und was ich davon weiß, hat mich hierher geführt, um dir eine Frage zu stellen. Sie betrifft etwas, das du Professor Tagert erzählt hast.«
    Chee machte eine Pause, ohne Pinto aus den Augen zu lassen. Der Alte saß unbeweglich da und schien abzuwarten, ob Chee noch etwas hinzuzufügen hatte. Seine straff über die Schädelknochen gespannte Haut wirkte beinahe durchsichtig dünn. Die leicht hervortretenden Augen in seinem hageren, ausgezehrten Gesicht erschienen übernatürlich groß. Er hatte schwarze Augen, aber die Hornhaut des rechten war durch grauen Star getrübt.
    Als Pinto sich sicher war, daß Chee ausgesprochen hatte, nickte er wortlos. Chee sollte fortfahren.
    »Du hast dem Professor von einer Zeit erzählt, als einige junge Männer aus dem Yucca Fruit Clan zum Sleeping Ute Mountain geritten sind, um sich von den Utes gestohlene Pferde zurückzuholen. Erinnerst du dich daran?«
    Der Alte erinnerte sich daran.
    Chee faßte die weiteren Erlebnisse der kleinen Gruppe zusammen und nahm sich die Zeit, sie ausführlich zu schildern. Pinto sollte die Gegenwart, diesen Raum und seine Rolle als Häftling vergessen und in seine Vergangenheit zurückkehren. Zuletzt kam er auf den Punkt zu sprechen, der ihm unklar geblieben war.
    »Was der biligaana-Professor damals niedergeschrieben hat, ist vielleicht nicht genau das, was du ihm erzählt hast. Er hat aufgeschrieben, daß du gesagt hast, der vom Yucca Fruit Clan hinzugezogene hataalii habe entschieden, für alle diese jungen Männer müsse ein Gesang des Sieges über die Feinde gesungen werden. Ist das wahr?«
    Pinto überlegte. Er lächelte schwach und nickte dabei. »Dann hat der biligaana-Professor aufgeschrieben, daß du ihm erzählt hast, dieser hataalii habe beschlossen, für einen Mann namens Delbito Willie außerdem den Gesang zur Beschwörung des Bösen zu singen. Ist das wahr?«
    Diesmal gab es kein Zögern. Hosteen Pinto nickte.
    »Das ist die erste meiner Fragen«, sagte Chee. »Weißt du, warum der Gesang zur Beschwörung des Bösen nötig war?« Pinto studierte Chees Gesichtsausdruck. Dann lächelte er schwach und nickte erneut.
    »Mein Onkel«, fragte Chee, »sagst du mir, warum er nötig war?«
    »Nein, noch nicht!« widersprach Janet Pete. »Ich habe vieles nicht verstanden. Worauf, willst du hinaus?«
    »Mich interessiert, weshalb eine bestimmte Heilungszeremonie nur für einen dieser Männer, nicht aber für die anderen stattgefunden hat. Dieser Umstand läßt darauf schließen, daß er ein bestimmtes Tabu gebrochen hat - und ich frage mich, welches.«
    Janet begriff offenbar noch immer nicht, worauf er hinaus- . wollte. »Aber wie...?« Sie zuckte mit den Schultern. »Okay, von mir aus soll er antworten.«
    Hosteen Pinto sah zu Janet hinüber, konzentrierte sich erneut auf Chee und blickte dann aus dem Fenster. Chee wartete schweigend. Von draußen kamen Straßenlärm, Sirenengeheul und Reifenquietschen. Auf dem Gang wurde eine Tür zugeschlagen, schepperte Stahl auf Stahl. Chee roch Staub, ein desinfizierendes Reinigungsmittel und den typischen Geruch alter, sehr alter Menschen. Pinto atmete seufzend aus. Er betrachtete wieder Janet Pete und lächelte dabei.
    Dieser Mann, dachte Chee, dieser freundliche alte Mann hat Delbert Nez ermordet. Er ist der Mann, der meinen Freund in seinem Wagen verbrannt hat. Er ist der Mann, der daran schuld ist, daß meine Hand vielleicht für immer verkrüppelt bleibt.

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