Der Kojote wartet
Pinto stand auf und humpelte vom Sitzen steif zur
Tür.
»Kannst du mir wenigstens sagen, wer dir den Whiskey gegeben hat?«
Pinto klopfte an die Glasscheibe der Tür. Der Wärter kam bereits.
»Kein Wort mehr!« forderte Janet den Alten auf. Sie wandte sich an Chee und fauchte ihn an: »Da sieht man, was von deinen Versprechungen halten kann!«
»Mir geht es nur um die Wahrheit«, antwortete er. »Vielleicht macht die Wahrheit ihn frei.«
15
Jim Chee, der noch nicht oft genug geflogen war, um gelernt zu haben, an Bord eines Flugzeugs kreativ denken zu können, verbrachte den Flug mit einer Turbopropmaschine der Mesa Airlines damit, von seinem Fensterplatz aus den ersten Schnee auf den zerklüfteten Graten der Jemenez Mountains tief unter ihm, die weiten, unregelmäßig gegliederten graubeigen Flächen der Chaco Mesa und zuletzt das im Dunst verschwimmende gelbschwarze Band des San Juan River zu betrachten.
In Gedanken war er bei Janet Pete, die aufgebracht gewesen war-aber eigentlich längst nicht so wütend, wie er befürchtet hatte. Das lag vermutlich daran, daß Hosteen Pinto ihm nichts Belastendes erzählt hatte. Trotzdem hätte sie sauer sein müssen, weil Chee versucht hatte, sie hereinzulegen. Daß sie es nicht war, ließ sich möglicherweise damit erklären, daß er ihr gleichgültig war. Diese Erklärung gefiel Chee nicht. Er merkte immer mehr, daß Janet ihm keineswegs gleichgültig war.
Chee holte seinen Pickup vom Flughafenparkplatz, verließ die Mesa und fuhr in den dichten Berufsverkehr auf der U.S. 550 hinaus. In Shiprock wollte er in seiner Dienststelle vorbeischauen, um zu sehen, ob der Captain da war. Largo, der schon viel länger hier stationiert war, kannte in diesem Teil des Reservats weit mehr Leute als Chee. Vielleicht hatte er von dem Tse A'Digash gehört, von dem Pinto gesprochen hatte. Chee vermutete ihn irgendwo südlich von Shiprock, irgendwo zwischen den vielen Vulkankegeln. Wahrscheinlich nicht allzu weit von der Stelle entfernt, wo er Ashie Pinto festgenommen hatte. Und falls Largo selbst nichts wußte, kannte er vermutlich irgendeinen Alten, der Auskunft geben konnte. Largo war jedoch nicht in der Dienststelle.
Angie hielt die Stellung.
»Hey, Mann, wie geht's mit der Hand?« fragte sie breit lächelnd. Ohne seine Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu: »Übrigens ist der Captain auf der Suche nach dir. Ich glaube, er will was von dir.«
»Was denn?« fragte Chee. »Er weiß doch, daß ich krank geschrieben bin.«
»Keine Ahnung. Aber Lieutenant Leaphorn hat ihn begleitet. Eigens von Window Rock raufgekommen. Und er sah nicht besonders gut drauf aus.«
»Leaphorn?«
»Captain Largo«, antwortete sie. »Der Lieutenant übrigens auch, wenn ich's mir recht überlege.«
»Wann war das? Heute?«
Angie nickte. »Die beiden sind vorhin erst weggefahren.« Zur Hölle mit ihnen! dachte Chee. Largo würde er noch früh genug wiedersehen. Mehr Sorgen machte ihm die Sache mit Leaphorn. Der Lieutenant hatte versucht, Tagert zu erreichen. Dafür gab es nur eine mögliche Erklärung: Leaphorn, der Supercop, hatte sich in die Ermittlungen im Fall Pinto eingeschaltet. Nicht auf Einladung des FBI, vermutete Chee. Das war unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher war, daß Leaphorn zu dem Schluß gekommen war, Officer Jim Chee habe gründlich versagt. Nun, zum Teufel mit Leaphorn!
»Angie, du lebst schon lange hier. Kennst du in diesem Teil des Reservats einen Ort, den die Einheimischen Tse A'Digash nennen?«
Angie sah ihn an.
Chee ließ nicht locker. »Einen Ort, der in schlechtem Ruf steht, weil es dort Hexen geben soll? Einen Ort, den die meisten Leute meiden?«
»Also einen Ort, über den sie auch nicht mit Fremden sprechen«, stellte Angie fest. »Ich komme aus Leupp. Das liegt drüben am Südwestrand des Reservats. Über fünfhundert Kilometer von hier.«
»Ja, ich weiß«, bestätigte Chee. »Aber du lebst seit zehn, zwölf Jahren hier.«
Angie schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht«, sagte sie. »Nicht, damit die Leute mit einem über Skinwalker reden.« Sie hatte recht. Das wußte er selbst.
Chee fuhr nach Hause und überlegte unterwegs, wer von seinen Freunden und Bekannten lange genug in Shiprock lebte, um wissen zu können, was er in Erfahrung bringen mußte. Ihm fielen drei Namen ein - und Largo war der vierte.
Der Captain schien allerdings nicht so gut auf ihn zu sprechen zu sein. Aber das kam gelegentlich vor. Und Largo würde ihm erzählen, was er über diese
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