Der Komet im Cocktailglas
Zu Anaxagoras’ Lebzeiten und in den Jahrhunderten danach konnte man vielleicht davon ausgehen, dass seine Vorstellungen richtig waren: Die Sonne war ein riesiges Feuer am Himmel. Und wenn man die Sonne als gigantische Kugel aus Holz oder Kohle verstand, konnte man mit einem Zeitraum von ein paar Tausend Jahre rechnen, bis sie komplett verbrannt sein würde. In der Zeit, als die Bibel noch das Maß aller Dinge war (und das war sie bis vor ein paar Hundert Jahren noch), konnte man mit so einer Lösung leben. Die Kirche erklärte daher auch, dass die Welt und das Universum selbst erst vor ein paar Tausend Jahren von Gott geschaffen worden waren. Denn eine Sonne, die zu dieser Zeit zu existieren begonnen hatte, konnte in der Gegenwart noch immer brennen.
Die neuen Wissenschaftler wollten aber nicht mehr auf die Bibel alleine vertrauen, sondern beobachteten die Natur. Und dabei zeigte sich, dass die Erde viel älter sein musste als nur ein paar Tausend Jahre. Es war natürlich schwer herauszufinden, wie alt die Erde wirklich ist. Das Rätsel wurde erst vor relativ kurzer Zeit gelöst.
Im 19. Jahrhundert stellte der britische Geologe Charles Lyell die These auf, dass die geologischen Vorgänge auf der Erde durch ganz normale und alltägliche Prozesse erklärt werden können. Wind und Regen können Stückfür Stück ganze Gebirge abtragen. Wasser kann Stück für Stück gewaltige Schluchten in das Gestein graben. Aber es dauert. Sehr lange. Deutlich länger als die paar Tausend Jahre, die die Theologen der Erde zugestanden. Auch Lyells Zeitgenosse Charles Darwin erklärte die Entstehung und Veränderung der verschiedenen Lebewesen auf der Erde durch kleine Änderungen, die im Laufe langer Zeiträume wirksam sind. 1864 probierte der Physiker William Thompson, das Alter der Erde konkret abzuschätzen. Er ging davon aus, dass sie früher einmal ein glutflüssiger Ball aus geschmolzenem Gestein gewesen war. Dann berechnete er, wie lange es hatte dauern müssen, bis sie auf die heutige Temperatur abgekühlt war. So kam er auf ein Alter, das irgendwo zwischen 20 und 400 Millionen Jahren lag. Damit geriet er nicht nur in Konflikt mit der kirchlichen Meinung, sondern auch mit Lyell und Darwin, deren Thesen eine viel ältere Erde forderten. Aber egal, ob die Erde nun ein paar Millionen oder Milliarden Jahre alt war, was die Sonne anging, half das nicht weiter. Die Erde konnte nicht älter als die Sonne sein. Wenn die Erde so enorm alt war, musste das auch für die Sonne gelten. Und niemand hatte eine Idee, wie sie so lange brennen konnte.
Es gab kein bekanntes Material, das dazu in der Lage war. Die Wärme und das Licht der Sonne konnten also nicht von einem normalen Feuer erzeugt werden. Dort oben musste irgendwas anderes passieren. Aber was? Man wusste eigentlich immer noch nicht mehr als Anaxagoras vor Jahrtausenden: Die Sonne steht am Himmel, sie leuchtet und sie ist warm. Die Ursache dafür war im 18. Jahrhundert immer noch genau so ein Rätsel wie im antiken Griechenland. Um die Sonne verstehen zu können, musste man erst mehr über die kleinsten Bausteine der Materie herausfinden.
So wie alle anderen Wissenschaften machte die Chemie seit dem 17. Jahrhundert jede Menge Fortschritte. Die Chemiker waren mittlerweile in der Lage, Stoffe in andere Stoffe umzuwandeln. Sie konnten neue Verbindungen und Materialien erzeugen. Auch Feuer ist so ein chemischer Prozess, bei dem ein Stoff – zum Beispiel Holz – in einen anderen Stoff (Asche, Kohle, Qualm, etc.) umgewandelt wird. Aber egal, welches Material man mittels Verbrennung in ein anderes umwandelt: Keines davon kann lange genug brennen, um der Sonne als Material zu dienen. Man musste eine völlig neue Art der „Verbrennung“ finden. Eine völlig neue Art, Stoffe in andere Stoffe umzuwandeln.
Schon in den vorangegangenen Jahrhunderten hatten die Alchemisten solche Prozesse untersucht. Das große Ziel der Alchemie war, es, den „Stein der Weisen“ zu finden: eine Methode, mit der man unedle Metalle wie zum Beispiel Blei in das edle Gold verwandeln konnte. Aber das erwies sich als unmöglich. Sowohl Blei als auch Gold waren grundlegende chemische Elemente. Sie konnten nicht in weitere Bestandteile zerlegt werden. Blei blieb immer Blei, und Gold immer Gold. Kein noch so ausgeklügelter chemischer Prozess konnte ein Bleiatom in ein Goldatom umwandeln.
Anfang des 20. Jahrhunderts begann man langsam zu verstehen, warum es den Alchemisten und Chemikern unmöglich war,
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