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Der Komet von Palling - Oberbayern-Krimi

Der Komet von Palling - Oberbayern-Krimi

Titel: Der Komet von Palling - Oberbayern-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rene Paul Niemann
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einen
feinen Dunstschleier vorgezogen, der endlich auf Regen hoffen ließ. Sie schloss
die dunklen Vorhänge und entzündete eine Kerze. Das Küken in der Schachtel
piepste. Halt den Schnabel, dachte sie und legte eine CD in die Stereoanlage. Trommeln, Alphörner, Eulenschreie. Das Küken piepste
lauter und scharrte mit den Füßen auf der Pappe. Sie polierte die weiße Schale.
    Sie hatte noch einmal
versucht, mit ihm zu reden. Doch auch diesmal hatte er gleich wieder aufgelegt,
sie einfach abgewürgt. Sie spüren lassen, dass sie nur Dreck war.
    »Bin ich dir zu alt
geworden?«, murmelte sie.
    Aber das gehörte dazu.
Nichts war von Dauer. Das Neue ersetzte das Alte. Die Gruppe stand über dem
Einzelnen. Und er stand an der Spitze.
    »Ihr könnt mich alle
mal! Ich weiß, was ich weiß!«
    Ein Luftzug ließ die
Kerzenflamme flackern. Die Schachtel mit dem Küken stand unter dem Tisch. Vor
ihr lag ein schmales Päckchen. Schwarzer Seidenstoff. Die scharfe Klinge eines
großen Messers kam zum Vorschein.
    Sie nahm das Küken aus
der Schachtel und hielt es über die Schale. Es hatte aufgehört zu piepsen. Ganz
zutraulich war es nun und schmiegte sich in die Wärme ihrer Hand. Mit einer
raschen Bewegung schnitt sie ihm die Kehle durch. Warm und rot tropfte es über
ihre Finger. Der kleine Körper erschlaffte. Sie legte ihn mitten in die
Blutlache, die auf dem Boden der weißen Schale leuchtete wie eine exotische
Blüte.
    Das Alphorn verstummte.
Ihr Puls war kaum schneller geworden, nur ihre Finger bebten leicht. Früher
hatte sie tatsächlich noch geglaubt, es habe mit Religion zu tun, mit
Erkenntnis und Erleuchtung. Aber das war Unsinn. Ein Winkelzug des moralischen
Verstandes, der eine Zeit lang brauchte, um sich einzugestehen, dass es die
reine Freude an der Wärme des Blutes war, der sie erschauern ließ.
    Sie blies die Kerze aus,
öffnete die Vorhänge wieder und schaute aus dem Fenster, wo die Zeiger von
Mariä Geburt auf fünf vor zwölf standen. Dann zündete sie sich eine Zigarette
an.

14
    Maria kämpfte mit einem
Anfall von Übelkeit, viel schlimmer als damals, als der Tobias unterwegs
gewesen war. Aber da war sie auch sechzehn Jahre jünger gewesen. Vielleicht lag
es an der Nachmittagshitze.
    Sieben Monate muss ich noch
durchstehen, dachte sie und ließ sich in der Stube auf einen Sessel sinken.
Hier war es angenehm kühl. Schon in aller Frühe hatte sie die Fensterläden
geschlossen, um die Sonne draußen zu halten. Eine träge Fliege summte zwischen
den gefältelten Gardinen. Eine neue Welle von Übelkeit suchte sie heim, und sie
legte den Kopf zurück in das rote Samtkissen, das ihre Großmutter genäht hatte.
Vor ihren Augen drehte sich alles. Sie schloss die Lider zu einem Spalt und
schwebte langsam davon. Das Brummen der Fliege dröhnte ihr in den Ohren. Sie
sah sich selbst aus der Haustür schlüpfen. Ganz dunkel war es. Vor die Sonne
hatte sich ein schwarzer Kreis geschoben. Die Erde war schwer und aufgeweicht.
Ihre Füße schienen festzustecken, sodass sie gar nicht vorwärtskam. Das Wasser
in den Pfützen schimmerte rötlich. In der Ferne bewegte sich, fast wie eine
Prozession, ein Zug von Gestalten,  die
alle dem großen Acker zustrebten, ihre Gesichter aber sah man nicht …
    »Ruhst dich aus,
Maria?«, fragte plötzlich die Stimme ihres Mannes ins Halbdunkel.
    Er nahm ihre Hand. Ein
kleiner Sonnenstrahl schob sich durch die Ritzen der Fensterläden und blieb an
seinem aufgekrempelten Hemdsärmel hängen. Ein langes blondes Haar hatte sich
darin verfangen, und Maria entzog sich ihm.
    »Geht’s dir nicht gut?«,
fragte er erstaunt.
    »Ach, ist schon egal.
Ich steh gleich wieder auf, muss die Kühe noch füttern.«
    »Bleib doch ein Weilchen
sitzen, ich kann den Stall auch alleine machen.«
    Aber das war ihr auch
nicht recht, und um sich nicht noch schwächer zu fühlen, stand sie sofort auf
und ging in die Diele, wo sie energisch an den Säcken mit dem Kraftfutter zu
zerren begann.
    Birnbaum zuckte mit den
Schultern. »Das wird schon werden«, murmelte er selbstvergessen.
    Gerade wollte er Maria
nachgehen und beim Füttern helfen, als das verflixte Handy in seiner Tasche zu
klingeln begann.
    »Ach, die Schwalbe …«
    Er sprach gerade so
laut, dass Maria in der Diele den Namen verstand. Sie biss sich auf die Lippen
und wünschte der Münchenerin die Pest an den Hals.

15
    Am nächsten Vormittag
waren die Schwalbe und der Sperling wieder da, und mit ihnen kam ein ganzer
Tross von Menschen, die

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