Der Komet
so, dass er geradezu log; aber er verschwieg doch allerhand. Er murmelte etwas davon, dass es da eine Himmelserscheinung gab, die sie im Auge behalten müssten. Er sagte nicht: »Eine Kugel aus Eis und Dreck rast durch den Kosmos, wahrscheinlich wird sie die Erde rammen« – nein, er hielt fein den Mund.
Dann war da noch die Angelegenheit mit Selene Schneider. Zu Anfang hatte Dudu ganz selbstverständlich angenommen, dass Siegfried Katz seine Frau mit ihr betrog; wie sich aber herausstellte, betrog Katz seine Frau stattdessen mit einer brünetten Wissenschaftlerin aus Norwegen. Und eines Tages konnte auch Dudu nicht mehr leugnen, dass Selene ihm schöne Augen machte. Leider muss dazu bemerkt werden, dass sie wirklich reizend war. Eine Astronomiestudentin aus Oldenburg, gerade 27 Jahre alt geworden, die ihre Doktorarbeit schrieb. Selbstverständlich war sie hochintelligent, anders hättesie diesen Forschungsauftrag auf dem Mond ja nie bekommen; außerdem verfügte sie über einen hintersinnigen Humor, der Dudu gefiel, und ließ sich von seinem Status als Hofastronom, dem von Amts wegen die Anrede »Exzellenz« zustand, keine Sekunde lang blenden. Selene war in jeder Beziehung das Gegenteil von Barbara: Wo jene erdig war, schien seine Mondgefährtin dem luftigen Element anzugehören; wo jene dunkle Farben zeigte, schüttelte Selene übermütig ihren kurzen lichten Schopf; wo Barbara jüdische Sensibilität und die dazugehörigen Neurosen offenbarte (auch wenn sie dies lachend abgestritten hätte!), da war Selene ein evangelisches Christenkind, eine blonde Versuchung.
War zwischen Dudu und Selene denn irgend Berichtenswertes vorgefallen? Wie man es nimmt. Einmal hatten die beiden sich im Kinosaal getroffen, einer der wenigen Vergnügungen, die das Observatorium zu bieten hatte; gegeben wurde ein fantastischer Film von Szczepan Szpilberg, der spannend, bunt und ein bisschen sentimental zu werden versprach. Selene Schneider hatte sich mit ihrem Stanitzel voller Salzgebäck zu ihm gesetzt; ihre Hand hatte sich auf der Plüschlehne wie zufällig neben die seine gelegt, dann war ihr kleiner Finger zu ihm hinübergewandert, dann streichelte sie ganz sanft über seinen (behaarten) Handrücken, was er in der Dunkelheit geschehen ließ, ohne einen Mucks zu machen. Und siehe da: Dudu Gottliebs Begierde, die auf der Erde schon ganz erschlafft war, richtete sich hier – auf der abgewandten Seite des Mondes – zu ihrer prallen Größe auf. Und fiel er danach etwa mit aller Zärtlichkeit, zu der er fähig war, über diese begehrenswerte, diese zutiefst interessante junge Frau her? Küsste er sie auf den Mund, nahm er sie mit in sein karges Quartier? Nein, obwohl er – weiß Gott – daran dachte.
Nichts weiter. Jeden Tag richteten sie ihr Rohr von Neuem auf das Verhängnis. Jeden Tag rechneten sie erneut an Kreisen und Planetenbahnen herum. Jeden Tag begannen sie mit einer schmalen Hoffnung, und jede Berechnung, die sie anstellten, schnitt von dieser Hoffnung einen weiteren Streifen ab: Nein, sie irrten sich nicht, nein, die Wahrscheinlichkeit, dass das Unheil knapp an ihnen vorbeischrammen würde, verringerte sich mit jedem Kilometer, den es näher rückte. Dudu Gottlieb kannte seinen Nestroy selbstverständlich auswendig: »Ich hab die Sach schon lang heraus. Das Astralfeuer des Sonnenzirkels ist in der goldenen Zahl des Urions von dem Sternbild des Planetensystems in das Universum der Parallaxe mittels des Fixsternquadranten in die Ellipse der Ekliptik geraten; folglich muss durch die Diagonale der Approximation der perpendikulären Zirkel der nächste Komet die Welt zusammenstoßen. Diese Berechnung ist so klar wie Schuhwichs.« Aber die Sache war nicht zum Lachen. Das Verhängnis raste durch den Weltraum auf sie zu. Und wenn Dudu Gottlieb daran dachte, fiel ihm naturgemäß der Engelssturz von Jizchak Levinsohn ein. (Levinsohn hatte sich ja katholisch taufen lassen, und er hatte sich ausgerechnet ein christliches Sujet für sein Bild ausgesucht; aber malen konnte er, der gesottene Hund, nur ein Verrückter hätte das geleugnet; es reute Dudu also überhaupt nicht, dass seine kostbare Vision – eine Hochzeitsgabe von Barbaras Eltern – bei ihnen zu Hause im Salon hing.) Wenn Dudu die Augen schloss, konnte er die irrsinnige Explosion von Licht auf der dunklen Leinwand erkennen, die helle Spur vor dem schwarzen Hintergrund, die Vision der Urkatastrophe: just so – nicht wahr? –, just so wie ein Kometenschweif. Der
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