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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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Lichtbringer, das schöne Antlitz des Bösen; Lucifer, wie Levinsohn ihn sah. Aberdas Unheil, das mit der Erde kollidieren würde, war einfach nur ein Komet und sonst nichts, ein schmutziger Schneeball, den die Sonne mit ihrer Gravitation auf weiter Bahn vorwärtszog. Das Verhängnis, das ihnen drohte, war namenlos, blind, es hatte kein Gesicht.

VI.
Stelldichein
    Vom Himmel hoch fiel der berühmte Schnürlregen auf Salzburg hernieder. Er nieselte auf die Getreidegasse (zwischen den mittelalterlichen Zunftzeichen warteten tausend Regenrinnen schon auf jeden einzelnen Tropfen), er sprühte in schrägen grauen Schlieren auf die Kirchtürme der Altstadt (Fischer von Erlachs gutmütig-pompöse Kollegienkirche, den barocken Dom mit seiner weiß getünchten Fassade). Hinter dem Festungsberg zuckte missmutig der eine oder andere Blitz, die Salzach schoss hell empört unter den Fußgängerbrücken dahin. Der Regen ging auf die schmalen alten Häuser nieder, die von der braunen Felswand des Mönchsberges gestützt wurden; er machte die steilen Stiegen auf dem Kapuzinerberg nass, die zum Paschinger Schlössl führten (Stefan Zweig hatte dort von 1919 bis zu seinem Tod anno 1963 gewohnt
Hinweis
). Mittlerweile war es September geworden, eigentlich die beste Zeit des Jahres in dieser Stadt – am Abend leuchtete der Horizont in einem so unverschämt-satten Violett, als befände man sich unter Zitronenbäumen in südlichen Gefilden. Aber heute, was für ein Pech, da regnete es halt (und regnete und regnete). Immerhin saß Alexej von Repin trocken unter gewaltigen Geweihen in der Eingangshalle des Hotels »Goldener Hirsch«. Mit der Schnelleisenbahn, dem hochmodernen »Düsenzug« (auch hier handelte es sich naturgemäß um eine Erfindung der Deutschen), hatte er gerade einmal zweieinhalb Stunden von Wien bis an die Westgrenze der Donaumonarchie gebraucht; vom Bahnhof hatte er dann die gelbe Bimmelbahn zum Hotel genommen.
    Er kannte sich in Salzburg überhaupt nicht aus, aber Barbara hatte ihm die Route in allen Details beschrieben (und ihm nebenbei 50 Kronen für den Fahrschein in die Hand gedrückt). Barbara Gottlieb war mit dem kleinen roten Sportflitzer gefahren und hatte einen kleinen Umweg über Graz genommen – dort wohnte ihre Schwester, bei der sie die beiden Mädchen für das Wochenende unterbringen wollte. Ihre kleinen Töchter waren gern bei der Tante, sie liebten es, mit ihren Cousinen zu spielen, es war also kein Problem gewesen. (Barbara hatte noch nicht einmal eine Ausrede erfinden müssen.) Eigentlich hätte sie längst hier sein müssen, wo blieb sie denn nur? Die bebrillte junge Frau, die an der Rezeption des »Goldenen Hirschen« in der Getreidegasse ihren Dienst versah – wahrscheinlich ein Bauernmädchen aus dem Umland –, warf zu Alexej, wie er da auf seinem Stuhl saß, manch misstrauischen Blick hinüber; sein Aussehen erweckte offenkundig kein Vertrauen. Er war auf dem Weg von der Straßenbahnhaltestelle ein wenig nass geworden, rötlich braune Strähnen klebten ihm auf der Stirn. Außerdem ließ er sich neuerdings (weil das Barbara so gefiel) einen Dreitagestoppelbart stehen.
    Während Alexej ungeduldig unter Hirschgeweihen mit seinem Hinterteil auf dem Polster hin- und herruckelte, nach der Zeitung griff, die Zeitung ungelesen wieder beiseitelegte, wildfremden Leuten zusah, die sich an der Rezeption anmeldeten und abmeldeten, dachte er an die vergangenen Wochen zurück. Alexej von Repin lächelte, sein Lächeln wuchs immer mehr in die Breite, und am Schluss wurde, während er schamhaft den Kopf senkte, ein richtiges Grinsen daraus – beinahe ein freches Grinsen. Denn Alexej erinnerte sich.
    Sie hatten sich im »Polanski« getroffen, einem koscheren Restaurant in der Wollzeile im I. Bezirk. Das »Polanski« hatte sich auf traditionelle Wiener Küche spezialisiert, der Höhepunkt der Speisekarte war gekochtes Rindfleisch in verschiedenen Variationen, besonders beliebt naturgemäß: der Tafelspitz. Er wurde dem Gast in kupfernen Kesseln erst einmal als dampfende Rindssuppe mit Frittaten serviert, anschließend legten Kellner ihm das magere Fleisch zusammen mit Semmelkren, Petersilienerdäpfeln und allerhand Gemüse auf den Teller; auch wurden geröstete Weißbrotscheiben für das Mark aus den Suppenknochen gereicht, die man mit einer winzigen Gabel dort herausschabte.
    Scheu waren sie gewesen, alle beide. Keine Küsse, nicht einmal kameradschaftlich-keusche auf die Wange zur Begrüßung, und ganz

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