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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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etwa in einer Zeitung darüber annoncieren? Zunächst einmal dies: Umfassende Fremdensprachenkenntnisse werden vorausgesetzt. (Er zum Beispiel beherrschte sieben der europäischen Dialekte fließend – Deutsch, Tschechisch, Ungarisch, Kroatisch, Polnisch, Italienisch, Französisch; mit Mitgliedern des hohen Klerus parlierte er auf Latein. Sein Altgriechisch war immerhin so passabel, dass er neulich bei einem Staatsbesuch in Smyrna
Hinweis
einer Aufführung der »Antigone« des Sophokles mühelos gefolgt war, während der Sultan neben ihm sanft schnarchend verdämmerte. An seinem Ukrainischen arbeitete er noch; sein Englisch war leider rudimentär, er gebrauchte es zu selten.) Die Habsburger waren eben keine deutsche, sondern eine österreichische, und das heißt: eine europäische Familie; dies war so selbstverständlich, dass es ihm von Kindesbeinen an gar nicht besonders hatte eingeschärft werden müssen, und die vier jungen Erzherzöge und zwei Erzherzoginnen, die seinen Lenden entsprossen waren, wuchsen in der gleichen Selbstverständlichkeit auf. Aber woraus bestand der Beruf eines Kaisers, was tat man da so? In der Hauptsache, dachte Franz Joseph II ., während er seinen Körper von kalten Wasserstrahlen geißeln ließ, wurde man beobachtet. Ganz gleichgültig, ob man ein neues Molekularkraftwerk einweihte, eine Pressestunde gab oder für wohltätige Zwecke ächzend die Spitze des Großglockners bestieg – stets waren die Kameraaugen der Welt auf die eigene Person gerichtet. Man musste sich nur in das lange schwarze Elektromobil setzen, an dessen Karosserie die Wimpel mit dem Habsburger Wappen wehten, schon kamen die Kiebitze in dunklen Schwärmen herbeigeflattert. Ihm war verwehrt, wie ein normaler Familienmensch mit einem seiner Enkel auf den Prater zugehen und ein Sahneeis zu essen. Es hätte ihn übrigens nicht im Mindesten gewundert, wenn versteckte elektronische Geräte ihn gerade in dieser Sekunde überwacht hätten, um Bilder von seinem armen nackten Leib in die Welt hinauszusenden. Seht, wie er sich unter Kaltwassergüssen windet; schaut, wie er versucht, sich zu verbergen: ecce homo!
    Sein Großvater hatte die Krone des Hauses Habsburg eine Dornenkrone genannt. Wahr, dachte Franz Joseph II ., während er sich mit Frotteetüchern den Leib abrieb: beinahe buchstäblich wahr. Manchmal wäre er statt Kaiser viel lieber französischer Präsident gewesen. Das hätte den Vorteil gehabt, dass man bald einmal abgewählt werden konnte: Ein republikanischer Staatschef war nicht lebenslänglich zum Herrscherdasein verdonnert. Der neue Präsident der französischen Republik und ihrer Kolonien in Afrika, Indochina und der Karibik, M. Beaufort aus Martinique, hatte ihnen gerade in der vorigen Woche seinen Antrittsbesuch abgestattet. Monsieur le Président war ein kohlrabenschwarzer beleibter Neger, Zögling der École Normale Supérieure, außerdem leider ein furchtbar langweiliger Zeitgenosse. Programm das übliche: Lipizzaner, Fiakerfahrt, Rede vor dem Reichsrat. Frühes Nachtmahl mit Gattinnen, anschließend Don Giovanni. Beim Armagnac hatte M. Beaufort mit spitzem Mund das Lob des öffentlichen Schulsystems gesungen, das sie dort drüben in ihrer Republik hatten. Aber bitte, was wollte man von einem M. Beaufort auch anderes erwarten?
    »Jesus, Maria und Josef«, flüsterte der Kaiser, es klang wie ein weicher Fluch. »Kerem, isten. Pomož mi, Matka Boska.«
    Leider ließ Sr. Majestät die schlechte Laune auch nach dem Frühstück keine Ruhe. (Übrigens trug Franz Joseph II . immer noch seinen Morgenrock, der allerdings sehrprächtig und von Purpurfäden durchwirkt war.) Unter normalen Umständen hätte er sich jetzt – es war mittlerweile sieben Uhr geworden, ein sonnig-kalter Tag Anfang Oktober – an den Schreibtisch gesetzt, an dem schon sein Urgroßvater gesessen hatte; dann hätte er den goldenen Klapprechner geöffnet, auf dessen Deckel der Doppeladler der Habsburger Dynastie stolz die Flügel spreizte, um seine Elektropost zu beantworten. (Der goldene Klapprechner stammte vom »k. u. k. Hoflieferanten Musil, Kraus & Kratochwil« in Brünn, eine Sonderanfertigung; die Firma war in der gesamten Monarchie für ihre qualitativ hochwertigen Produkte bekannt. Bei der Elektropost handelte es sich hier um eine ganz neue Technologie, eine deutsche Erfindung, die möglich machte, dass er ohne Telegramme oder ermüdende Telefongespräche mit seinem Stab, den Ministerpräsidenten der verschiedenen Kronländer

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