Der Komet
Geschichtsbüchern bekanntlich unter dem Stichwort »Anschluss« verzeichnet steht. Und im Juni 1941 erfolgte dann die »Heimholung«, also die Eroberung des russisch besetzten Teiles von Polen, diesmal mit heimlicher deutscher Unterstützung. Franz Joseph II . dachte daran zurück, wie er einst als Dreizehnjähriger bei einem ausführlichen Spaziergang mit seinem Vater über diese traurigen Ereignisse gesprochen hatte. Die Bäume an den Alleen standen in sattem Grün, im Gewächshaus blühten die Orangen, die Hecken waren wohlgestutzt. Die Einzigen, die in dieser Idylle zu schimpfen wagten, waren ein paar Spatzen, die einander laut tschilpend durch das Gebüsch jagten.
»Politik ist ein schmutziges Geschäft«, hatte Franz Joseph II . (der freilich damals, als dreizehnjähriger Erzherzog, noch lange nicht so hieß) melancholisch gesagt.
»Nein«, widersprach sein Vater, der Kaiser. »Jedenfalls nicht ohneweiters. Du weißt doch: omnia munda mundis. «
»Aber Krieg ist immer schrecklich«, sagte der junge Erzherzog, den seine Freunde Poldi nannten.
»Ja. Leider lässt er sich manchmal nicht vermeiden, genau wie schlechtes Wetter«, erwiderte der Kaiser. »Wenigstens waren die beiden Kriege, die wir zu führen gezwungen waren, nicht nur schrecklich, sondern auch schnell wieder vorbei. Es handelte sich quasi um Blitzkriege.«
»Aber warum waren wir denn zu diesen Kriegen gezwungen?«, hatte der Dreizehnjährige gefragt.
»Weil wir die Polenfrage klären mussten.«
»Und das war, bitte, das vergossene Blut der Soldaten wert? Das ihre und das der unsrigen?«
»Schon. Denn danach konnten wir endlich auch die Ruthenenfrage klären. Zwei Kronländer für zwei Völker! Das war unsere Devise. Eine noble Devise, wie du wohl zugeben wirst, und wir haben uns nach dem Sieg auch daran gehalten. Den Ruthenen haben wir huldvoll Ost-Galizien als immerwährende Heimat angewiesen – mit Lemberg als Hauptstadt – und den Polen ebenso huldvoll West-Galizien – mit der Hauptstadt Krakau.«
»Aber waren uns die Deutschen und die Russen denn hernach nicht böse?«
»Nein. Jedenfalls nicht lange. Beide waren im Nachhinein beinahe erleichtert, dass sie ihre Polengebiete so billig losgeworden waren. Auch wenn sie das naturgemäß nie eingestanden hätten. Vielleicht sind die beiden Siege auch deshalb so leicht gewesen …«
»Und die Polen?«
»Ach, die Polen! Die konnten froh sein, dass sie nach dem Anschluss und der Heimholung endlich nicht mehr in drei Teile auseinandergerissen waren. Außerdem ahnten sie, und sie ahnten richtig, dass unter dem Wappen des Hauses Habsburg ihre persönlichen Freiheiten wie ihre nationalen Eigenarten anerkannt und geachtet würden wie unter keinem anderen Herrscher. Ihre eigenen übrigens eingeschlossen.«
»Aber es wohnen doch auch Polen in Ost-Galizien, richtig? Und viele Ruthenen wohnen in West-Galizien? Stören die denn nicht?«
An dieser Stelle war der Kaiser stehen geblieben und hatte dem jungen Erzherzog fest ins Gesicht geschaut. »Poldi«, hatte er mit eindringlich-leiser Stimme gesagt. »So etwas darf man nicht sagen. So etwas darf man noch nicht einmal denken! Niemand stört. Wir sind doch hier keine Barbaren. Wir leben doch nicht bei den alten Assyrern. Unter diesen … diesen heidnischen Unmenschen soll es allerdings üblich gewesen sein, ganze Völkerschaften umzusiedeln, mit brutalem Zwang – was für ein Gedanke!« Der junge Erzherzog ahnte, dass er nun eine Predigt, einen politisch-moralischen Sermon über sich würde ergehen lassen müssen; und richtig, hier kam er schon angerauscht: »Die Rechte der nationalen Minderheiten in unserer Monarchie sind verbrieft und gesichert«, sagte der Kaiser im Weitergehen. »Die Rechte der Polen in Ost-Galizien – und die Rechte der Ruthenen in West-Galizien. Wie auch die Rechte der Juden, der Deutschen, der Zigeuner, der Armenier und all der anderen. Also: niemand stört!« An dieser Stelle hatte ein alter Gärtner, der sich mit gepacktem Ranzen auf dem Heimweg befand, ehrfurchtsvoll gegrüßt; Maximilian III . grüßte freundlich zurück.
Der Trick bei dieser letzten Neuordnung des Reiches, erklärte der Kaiser seinem Filius anschließend, war gewesen, sie als nichts Besonderes, eigentlich gar nichts Neues ausschauen zu lassen. So hatte Maximilian III . bewusst die traditionellen Bezeichnungen beibehalten; kein Mensch dachte daran, fortan von den »Vereinigten Staaten von Groß-Österreich« zu sprechen. Nein, es blieb bei »kaiserlich
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