Der Komet
hinunter auf die Erde, Majestät, wenn ich bitten darf«), endlich hatte Roman ihm einen glatten runden Holzstock überreicht, den er mit beiden Händen gewaltsam anheben musste (»bitte fester, Majestät, das gibt Muskeln«), während der ruthenische Riese von der anderen Seite her dagegenpresste. Roman hatte sich geweigert, mit ihm in seiner Muttersprache zu reden, obwohl der Kaiser ansonsten allzu gern sein Ukrainisch an ihm ausprobierte; stattdessen hatte er ihn auf Deutsch mit antisemitischen Bemerkungen eingedeckt: »Majestät müssen sich, wenn ich mir diesen kleinen Ratschlag gestatten darf, vor den jüdischen Bankiers in Acht nehmen.« – »Das weiß nichtjeder, Euer Majestät, aber die jüdischen Bankiers haben sich zu einer Verschwörung zusammengeschlossen.« – »Die Rothschilds und Warburgs werden uns noch einmal in eine Inflation hineintreiben. Obacht!«
Franz Joseph II . war so schlimm außer Atem gewesen (»bitte auf die Knie, Majestät«), dass er kein Wort der Erwiderung herausbrachte. Er musste seine Einwände also stumm und verbissen in sich hineinschlucken. Schon wahr: Der Skandal um den jüdischen Großbetrüger Bernhard Medowoi, der mit einem gewissenlosen Pyramidenspiel Tausende Menschen um ihre Ersparnisse brachte, hatte die Wiener Finanzwelt vor einem Jahr bis in die Grundfesten erschüttert; und Roman befand sich im Recht, wenn er behauptete, mehr als die Hälfte der Bordelle in der Reichshauptstadt würden von Juden geführt. Aber warum sollten nicht auch die Israeliten ihren gerechten Anteil an Strizzis und Schlawinern haben? Es war ja, bitte, nicht so, dass die Christen in der Monarchie keinen Dreck an den Wanderstäben hatten, mit denen sie durch den selbstverschuldeten moralischen Morast wateten. Und der junge Baron Rothschild, der die k. k. Creditanstalt mit kundiger Hand leitete – jetzt schon in achter Generation! –, war ein anständiger Mensch, dachte der Kaiser schnaufend bei seinen Turnübungen; sie hatten ihn schon öfter zum Nachtmahl im kleinsten Kreise (nicht mehr als ein Dutzend geladener Gäste) hier in Schönbrunn gehabt. Die kaiserliche Gymnastikstunde war ihm also durch Blödheit verleidet worden. Und ein Rest davon versalzte ihm nun auch die zwei weichen Eier im Glas, wiewohl sie – hätten seine Geschmacksnerven ihm die objektive Wahrheit gemeldet – vorzüglich waren.
Es kam noch ein Zweites dazu: Beim Betrachten der Frühnachrichten, noch verschwitzt von der Gymnastik und im Seidenpyjama, hatte er einen akuten Anfall vonbrennend-pochendem Neid durchzustehen gehabt. Die Schuld daran trug Kaiserin Augusta I. (wer sonst?), deren lachendes Gesicht plötzlich auf dem Bildschirm erschienen war. Mit ihren 44 Jahren sah sie immer noch blendend aus, eine schlanke, rötlich-blonde Person, die einen großen Teil ihrer Jugend in Köln verbracht hatte und immer noch jedes Jahr den rheinländischen Karneval feierte. Sie war attraktiv, er konnte nicht einmal bei schlechter Beleuchtung so genannt werden; sie war jung, er würde in Kürze in sein 60. Jahr treten; sie sprach frei und offen in die Fernsehkameras hinein, er dagegen nuschelte (Hasenscharte). Am meisten wurmte ihn jedoch, dass sie, die Deutsche, die Preußin, von der Journaille als »Volkskaiserin« bezeichnet wurde, während er selbst für die Neue Freie Presse immer noch der »Lernkaiser« war – dabei regierte und repräsentierte er das österreichisch-ungarische Reich nun schon seit elf Jahren. Was für eine Bodenlosigkeit! Was für ein Lumpenpack! Als kleinen Trost erinnerte Franz Joseph II . sich daran, dass Augusta die Hübsche einem Geschlecht von Emporkömmlingen entstammte (die Hohenzollern waren erst 1871 auf einen deutschen Kaiserthron gehievt worden, den Kanzler Bismarck erst einmal mühsam aus dem blanken Nichts heraus hatte schaffen müssen – kein Vergleich, bitte, mit dem Haus Habsburg). Aber selbstverständlich handelte es sich hier um einen so boshaften wie ungerechten Einwand. Die deutsche Kaiserin versah den Beruf, zu dem sie geboren worden war, mit beträchtlichem Charme und lässiger Würde; sie war nicht nur lustig, sondern auch gebildet und anglophil bis über beide Ohren. Was wollte der Mensch mehr? Die gelbe Lanze des Neides blieb darum fest in seiner Seite stecken.
Während der Kaiser eine Dusche nahm, dachte er des Spaßes halber darüber nach, wie seine Stellung in der Weltwohl beschrieben werden müsste, wenn es sich um einen bürgerlichen Beruf handeln würde. Was müsste man
Weitere Kostenlose Bücher