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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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oder den Botschaftern des Reiches kommunizierte – eine feine Sache. Dass eines Tages tout le monde auf diese Weise miteinander in Kontakt treten würde, glaubte der Kaiser allerdings nicht. Das kam ihm dann doch zu utopisch vor.) Wie seine Vorfahren begriff auch Franz Joseph II . sich vor allem als Beamten: als ersten Angestellten seines Reiches, als Kopf der k. u. k. Bürokratie. Er war Kaiser von Gottes Gnaden – das bedeutete, wie sein persönlicher Beichtvater Kardinal Heinrich Grausenburger ihm immer wieder mit theologischen Argumenten auseinandersetzte: Er war Kaiser nur von Gottes Gnaden. Nicht durch persönliches Verdienst war er zu Amt und Würden aufgestiegen; nicht seiner Vorzüge wegen wurde er mit »Majestät« angeredet. Der Himmel hatte ihn dazu bestimmt, Herrscher der österreichisch-ungarischen Monarchie zu sein, und er hatte dieser Berufung nun gerecht zu werden, indem er in einer kriminellen Frühe aufstand und wie jeder gewissenhafte Mensch dieihm gestellten Aufgaben erledigte. (Franz Joseph II . hatte zwar kaum noch echte Entscheidungen zu fällen, wusste aber trotzdem gern über jedes Machtwort Bescheid, das in seinem Namen gesprochen wurde.) Doch an diesem Morgen packte ihn die Schwermut, wenn er den goldenen Klapprechner auf seinem Sekretär auch nur anschaute, und Schrecken befiel ihn bei der Vorstellung, er müsse nun die angefallene Elektropost durch das Netz seiner Gedanken sieben.
    In diesem trüben Geisteszustand wurden nachdrückliche Maßnahmen nötig, wollte er nicht in tagelanger Schwermut versinken (betrüblicherweise neigte Se. Majestät zu Depressionen). Er begab sich also stehenden Fußes (immer noch im Morgenrock) in den Kinosaal hinüber und ließ eine Silberscheibe in den Filmprojektor legen, auf der in digitaler Form – die technische Seite der Angelegenheit war ihm einigermaßen rätselhaft – die bewegten Bilder von der Siebenhundertjahrfeier der Doppelmonarchie gespeichert waren.
    Er erinnerte sich daran, als wäre MCMLXXXII gerade gestern vom Kalender gerissen worden. Ein fescher Erzherzog von vierzig Jahren war er damals gewesen, den seine Freunde als »Poldi« titulierten (sein voller Name lautete bekanntlich: Franz Joseph Leopold Robert Maria Anton Karl Max Heinrich Sixtus Xavier Felix Renatus Ludwig Gaetan Pius Ignatius von Habsburg-Lothringen). Sein Vater, Maximilian III ., hatte zwar schon gebrechlich gewirkt
Hinweis
, aber er gewann immer noch jede zweite Tarockpartie – dies konnte Erzherzog Poldi aus eigenem Leidwesen bezeugen. Im k. k. Hofburgtheater war zu ihren Ehren ein symbolisches Drama gegeben worden: »Des Kaisers Traum«. Das symbolische Traumspiel handelte von Rudolph, dem ersten Habsburger auf demösterreichischen Thron, der auf der Bühne von einem gemütlich-dicken Schauspieler gegeben wurde; »Rudolph« legte auf seinem Thron ein kleines Nickerchen ein, und im Traum fragte er sich gleich voll staatsmännischer Sorge, was nach ihm denn wohl aus dem Reich werden würde, das er begründet hatte. Der Engel der Geschichte führte ihn während der folgenden Stunde durch verschiedene Stationen: das Heiratsbündnis mit den Jagellonen, die Türkenbelagerung von Wien anno 1863, die Regentschaft von Maria Theresia (selbstverständlich war zu sehen, wie der kleine Mozart ihr auf den Schoß sprang, nachdem er am Piano etwas lieblich Selbstkomponiertes vorgespielt hatte), der Wiener Kongress, der Ausgleich mit den Ungarn von 1867.
    Wo andere vielleicht eine Abfolge von Missgeschicken, von Beinahekatastrophen erblickt hätten, dort sah der Engel der Geschichte nur Menschen, die er unter seine Fittiche nehmen, vor den Unbilden des Daseins beschützen, trösten konnte; endlich erkannte Rudolph voller Freude, dass jenes Reich, das er im Krieg gewonnen hatte, künftig nur einem Zwecke dienen würde – dem Frieden nämlich. Im letzten Akt schwebte eine allegorische Gestalt vom Schnürboden herunter: die Liebe in einem glitzernden Festtagsgewand. Sie wurde von Rudolph und dem Engel der Geschichte in die Mitte genommen, und dann traten in ihren Nationaltrachten hübsche Vertreterinnen aller Nationen der Monarchie auf und drehten sich in einem Reigen um diese drei; als sozusagen krönender Abschluss wandten sich dann alle Schauspieler strahlend der echten kaiserlichen Familie zu. Die Kamera schwenkte und zeigte Maximilian III . in seiner Loge im k. k. Hofburgtheater, wie er lachend zurückwinkte und eine Kusshand warf. Sein Sohn und Nachfolger saß allein und stumm

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