Der Komet
in dem dunklen Kinosaal, über ihm surrteund tanzte der Lichtstrahl, der die bewegten Bilder auf die Leinwand malte.
Vielleicht hätte ein Nörgler darauf hingewiesen, dass der historische Rudolph I. nicht dick und gemütlich, sondern hager und grausam war. Vielleicht hätte jener Nörgler außerdem angemerkt, dass »Liebe« nicht ganz das mot juste war, wenn es galt zu beschreiben, in welchem Verhältnis die Völker der Monarchie zueinander wie auch ihrem Regenten standen. Vielleicht hätte der Nörgler einen berühmten Aphorismus zitiert, der dem Dichter Egon Mautner zugeschrieben wurde: »Die Völker der Donaumonarchie sind einander in herzlicher Abneigung zugetan.« Vielleicht hätte ein kritischer Geist (und Franz Joseph II . war kein dummer Mensch, sondern zur Kritik und Selbstkritik fähig) auf diesen Harmoniekitsch also mit einer gesunden Portion schwarzgalliger Ironie reagiert.
Alles richtig. Andererseits wiederum: Warum sollte denn jede geschönte Wahrheit gleich mit dem hässlichen Ausruf »Lüge!« bedacht werden?
Der Kaiser blieb noch eine kleine Minute sitzen, nachdem die Dunkelheit des Kinosaales sich in Licht aufgelöst hatte. Ihm war mit einem Mal jemand eingefallen, der jene Siebenhundertjahrfeier nicht mit seiner Anwesenheit beehren konnte, den er auch nie gekannt hatte: sein Großvater (Franz II . war leider schon fünf Jahre vor seiner Geburt gestorben). Was für ein Mensch, dachte er. Hier stimmte es einmal: das klassische Klischee vom Kairos, dem glücklichen weltgeschichtlichen Augenblick. Der richtige Mann saß zur rechten Zeit an der entscheidenden Stelle. Zu Lebzeiten allerdings war er umstritten gewesen: Keiner von denen, die grüßten, hatte er als schroff und unhöflich gegolten … ohne Charme, eine beinaheschon unösterreichische Erscheinung. Aber nach seiner Thronbesteigung Anno Domini 1916 hatte er eine Serie von Reformen ins Werk gesetzt, durch die Österreich-Ungarn reif für den Übergang ins 20. Jahrhundert gemacht wurde. Ein widersprüchlicher Charakter – und dann doch wieder ganz fest. Einerseits hatte sein Großvater sich geweigert, seine Liebe aus politischen Gründen zu verraten; andererseits hatte er aber auch nicht auf den Thron verzichtet, denn dies wäre ihm nun wiederum wie ein Verrat an seinen staatsmännischen Pflichten vorgekommen. Um ein Haar hätte er Sophie Chotek von Chotkowa – die Großmutter des Kaisers – aus Standesgründen nicht heiraten dürfen, zum Glück der Monarchie war es anders gekommen.
Hinweis
Franz II . konnte vielleicht als Letzter der absolutistischen Herrscher gelten, verbündete sich aber mit den Völkern, nicht mit dem Adel: vor allem den unterdrückten Völkern, jenen, die man ins zweite Glied verwiesen hatte. Er war also ein Freund der Slawen gewesen. Nach und nach, einen Finger nach dem anderen, hatte Franz II . den Klammergriff gelöst, mit dem die Ungarn in ihrer Reichshälfte die Rumänen, Slowaken, Kroaten usw. wie in einer fest geschlossenen Faust umfasst hielten; am Ende verfügten alle größeren Völkerschaften der Monarchie über ihre eigenen Parlamente und Ministerpräsidenten.
Das Druckmittel – der Hebel – war dabei die Thronfolge gewesen. Vor seiner Hochzeit, also noch als Erzherzog, hatte Franz II . ein Dokument der Demütigung unterzeichnen müssen, mit dem er seine Nachfahren für alle Zeit davon ausschloss, dass sie je die Dornenkrone des Hauses Habsburg trugen (oder tragen mussten); doch nun, da die Zügel der Macht in seinen Händen lagen, drohte er den Ungarn, er werde diesen Wisch in der Luft zerreißen, so sie sich nicht zu Konzessionen bereit fänden.Nachdem die Konzessionen allesamt erfolgt waren, riss er das Dokument naturgemäß erst recht in tausend Fetzen. Ein Skandal! Eine Riesenaufregung! Sein Großvater war ein Fuchs gewesen – schlau und ohne Skrupel, wie er bei Niccolò Machiavelli im Buche stand. Dabei hatte er als friedvoller Herrscher das Zeitliche gesegnet: Schüsse erschallten unter Franz II . nur bei Paraden sowie bei Jagden (der Reformkaiser war, das muss leider gemeldet werden, ein leidenschaftlicher Jäger) und bei Militärbegräbnissen.
Die rauen Geräusche des Krieges ertönten erst unter Maximilian III . Im März des Jahres 1938 ließ der junge Kaiser – mit Unterstützung des Zarenreiches, wie allerdings erst hinterher herauskam – seine Truppen im kaiserlichen Deutschland einmarschieren, um den deutsch besetzten Teil Polens zu erobern: ein Ereignis, das in den
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