Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
Vom Netzwerk:
gelagert wurden, gingen in Flammen auf und waren verloren.
    zurück zum Inhalt
    … die Wohnung des Meisters war längst ein prachtvolles Museum. Wie jeder bezeugen kann, der schon einmal dort war, ist das Sigmund-Freud-Museum in der Berggasse 19 in Wien im Wesentlichen leer. Das berühmte Sofa des Meisters, auf dem ein bunter Perserteppich und verschiedene bequeme Polster liegen, steht nicht in Wien, sondern in London; dort findet man auch Freuds private Sammlung von ägyptisch-heidnischen Gegenständen. Sigmund Freud wurde nach dem »Anschluss« aus Wien verjagt, er starb im Exil. Die Psychoanalyse galt unter den Nazis als »jüdische Wissenschaft« und wurde verboten. Als apokryph muss die berühmte Anekdote eingestuft werden, Freud, der bei der Ausreise zu der schriftlichen Behauptung gezwungen wurde, er und die Seinen seien gut behandelt worden, habe dem Formular hinzugefügt: »Ich kann die Gestapo jedermann auf das Beste empfehlen.«
    Vier der fünf Schwestern von Sigmund Freud gelang es nicht, den Mördern zu entfliehen. Marie und Paula wurden im Todeslager Maly Trostinec umgebracht, Adolfine starb in Theresienstadt an Unterernährung, Rosa wurde in Treblinka vergast.
    zurück zum Inhalt
    … Auschwitz, ein Bahnknotenpunkt in Galizien. In Wirklichkeit war Auschwitz kein Bahnknotenpunkt, dort geschah etwas anderes.
    Stellen Sie sich ein Foto vor. Stellen Sie sich eine Gruppe von Uniformierten vor, die auf einer Wiese stehen, einem Hang vielmehr, der nach hinten sanft ansteigt. Manche der Uniformierten haben die Münder halb geöffnet, sie sind gerade am Singen. Jene, die nicht singen, lächeln entspannt. Im Bildvordergrund ist ein Steg zu sehen, den zwei Holzgeländer umsäumen. Auf diesem Steg steht ein Mann, den Rücken hat er der Kamera zugewandt; er spielt Ziehharmonika. Das Bild ist schwarzweiß, eine historische Aufnahme. Stellen Sie sich jetzt bitte eine ganze Serie von historischen Fotos vor. Sie sehen darauf zwölf junge Frauen in Wollröcken und Baumwollblusen, die auf einem Terrassenzaun sitzen; und wieder spielt ein Uniformierter Akkordeon. Ein anderer serviert den Frauen Schalen mit Früchten auf einem Tablett. Die Bildunterschrift lautet: »Hier gibt es Blaubeeren.« Auf den nächsten Bildern sehen wir, wie die Frauen und die Uniformierten die Blaubeeren essen; am Schluss halten sie die Schüsseln in die Kamera. Einige drehen die Schüsseln um, sodass jeder sehen kann: Sie sind leer. Eine der Frauen tut so, als würde sie bitterlich weinen.
    Diese Aufnahmen wurden vor einigen Jahren von dem Magazin New Yorker veröffentlicht. Sie stammen aus einem Album, das ein amerikanischer Offizier 1945 in Frankfurt am Main fand. Er dachte sich nicht viel dabei und nahm das Fotoalbum mit, als er in die Heimat zurückkehrte – ein Kuriosum. Als alter Mann beschloss er dann aber, sich von vielen seiner weltlichen Besitztümer zu trennen. Und so verfasste er im Jahre 2006 mithilfe eines Freundes, den er aus der Kirche kannte, einen Brief an das Holocaustmuseum in Washington. Er habe da eine Sammlung von Fotos, schrieb er, das offenbar »Tätigkeiten in und um Auschwitz, Polen, zeigt«. Im Holocaustmuseum reagierte man zunächst nicht sehr enthusiastisch. Fotos amerikanischer Soldaten, auf denen deutsche Konzentrationslager kurz nach der Befreiung abgebildet sind, gibt es schließlich zuhauf. Aber als dieses Album in Washington eintraf, setzten sich die Archivare mit einem Ruck aufrecht hin. So ist die Aufnahme, die den Chor gut gelaunter Uniformierter auf dem Rasen zeigt, in Wahrheit ein veritables Prominentenfoto: In der ersten Reihe erkennen wir Richard Baer, den Kommandanten des Lagers Auschwitz I, ferner Rudolf Höß, den Kommandanten des Gesamtlagers, und Dr. Josef Mengele, der im Lager Versuche an lebenden Menschen vornahm. Am Kragenspiegel tragen die fröhlichen Sänger das gezackte Zeichen der SS auf schwarzem Grund.
    Das Blaubeeressen, das auf diesen Fotos so ausgiebig dokumentiert wird, fand am 12. Juli 1944 stand. Tags darauf befreiten sowjetische Truppen das KZ Majdanek. Tausend Gefangene von dort zwang die SS auf einen Todesmarsch nach Auschwitz; die Hälfte kam an. Insgesamt dokumentiert das Album genau jene Zeit im Frühling und Frühsommer 1944, in der die ungarischen Juden den Deutschen in die Hände fielen. 434.000 Menschen wurden damals in Viehwaggons gepackt und nach Auschwitz verschleppt. Die Krematorien, die 132.000 Leichen pro Monat bewältigen konnten, waren dieser Anforderung nicht

Weitere Kostenlose Bücher