Der Komet
den Kampfnamen »Trotzki« gab, gilt manchen Leuten immer noch als Vertreter eines humanen Sozialismus. Sie glauben also fest daran, dass die Sowjetunion weniger unmenschlich geworden wäre, wenn nicht Stalin, sondern Trotzki in den Zwanzigerjahren das Ruder aus der Hand Lenins übernommen hätte. Dafür gibt es wenig Anhaltspunkte.
Trotzkis Wahlspruch lautete: »Nichts Großes in der Geschichte ist je ohne Fanatismus vollbracht worden.« Wie Lenin hielt er es für seine revolutionäre Pflicht, die Bevölkerung zu terrorisieren. Es war Trotzki, nicht Stalin, der Konzentrationslager in der Sowjetunion errichten ließ. (Erst unter Stalin wurden diese Lager freilich zu einem flächendeckenden System ausgeweitet, dem »Archipel Gulag«.) Trotzki ließ 1921 die aufständischen Matrosen in Kronstadt gnadenlos zusammenschießen, ein Verbrechen, für das er nie auch nur ein Gran Reue gezeigt hat. Für »bürgerlichen Humanismus« hatte er zeitlebens nichts als Verachtung übrig. Seine einzige Kritik an der »Entkulakisierung«, die Stalin von 1929 an betrieb – also dem Aushungern von Millionen Menschen in der Ukraine –, war, dass sie nicht mit militärischen Mitteln durchgeführt worden sei (was übrigens nicht stimmte). Dass ein sowjetischer Agent ihm im mexikanischen Exil einen Eispickel in den Hinterkopf rammte, macht ihn zu einem weiteren Opfer des Stalinismus (einem von Abermillionen); es macht ihn nicht sympathischer.
Der Abstammung nach war Trotzki ein Jude. In den Augen der Antisemiten war er deshalb ein Abgesandter des Teufels, ein Dämon. In Wirklichkeit reagierte Trotzki verschnupft, wenn man ihn auf seine Abstammung ansprach. Einer jüdischen Delegation, die ihn bat, in Not geratenen Glaubensgenossen zu helfen, schleuderte er zornesfunkelnd entgegen: »Ich bin kein Jude, ich bin Internationalist!« Als Rabbi Eisenstadt aus Petrograd ihn ersuchte, die Einfuhr von Mazzenmehl für das Passahfest zu erlauben, reagierte Trotzki ebenfalls mit einem Wutanfall: er kenne keine Juden und wünsche auch keine zu kennen. Bei anderer Gelegenheit äußerte er, Juden interessierten ihn nicht mehr als Bulgaren.
Unbestritten an Lew Bronstein allerdings ist sein literarisches Talent. Wer seine Autobiografie gelesen hat, kommt nicht darum herum, ihn – wenn auch mit widerwillig zusammengekniffenen Lippen – als Schriftsteller zu bewundern.
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Nominell unterstand der Jischuw immer noch dem alten Sultan in Stambul. Der moderne Staat Israel ist 1948 aus der Zerfallsmasse des Osmanischen Reiches hervorgegangen. Das verbindet diese Nation mit so unterschiedlichen Ländern wie Albanien, Syrien, Serbien und dem Libanon. Ein Unterschied zu diesen Staaten (es gibt noch andere) ist allerdings, dass Israel zugleich das Erbe der Habsburgermonarchie angetreten hat. Es handelt sich hier um einen Kleinstaat, der Bevölkerungsgruppen aus allen fünf Kontinenten und 70 Ländern in seinen Grenzen beherbergt; einen Staat, der eine Mehrheitsreligion (das Judentum) hat, aber den anderen Glaubensrichtungen (Islam, verschiedenen Spielarten des Christentums, Baha’i-Religion, den Drusen usw.) selbstverständlich Religionsfreiheit gewährt. Ziemlich habsburgisch müssen auch die barocken Dauerpalaver und Redeschlachten in der Knesset, dem israelischen Parlament, genannt werden.
Vielleicht hat niemand das habsburgische Erbe des Judenstaates besser verkörpert als Teddy Kollek. 28 Jahre lang war er der Bürgermeister von Jerusalem (die Bürger der Stadt bestätigten ihn fünfmal in seinem Amt). Kollek wurde 1911 in Nagyvázsony geboren, wuchs in Wien auf und wanderte 1935 ins britische Mandatsgebiet Palästina aus. Nach der Wiedervereinigung im Sechstagekrieg von 1967 regierte er die Hauptstadt mit schlau-beharrlicher Behutsamkeit. Kollek lavierte geschickt zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, stellte sicher, dass die Muslime auf dem Tempelberg in Ruhe gelassen wurden, ließ Parks anlegen, damit Juden, Araber, Armenier, säkulare und religiöse Israeli einander in der Öffentlichkeit begegnen konnten. Nebenbei sorgte er für Wasserversorgung, Müllabfuhr, ein modernes Kanalsystem, ließ Schulen bauen etc. Kaiser Franz Joseph wäre stolz auf ihn gewesen.
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Dr. Wohlleben bestellte eine Schale Gold. Unter einer Schale Gold haben wir einen Mokka (starken Filterkaffee oder Espresso) zu verstehen, der mit Kaffeeobers (flüssiger Schlagsahne) so weit gestreckt wird, dass er eine goldbraune Färbung annimmt;
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