Der Kommandant und das Mädchen
Störung”, stammelt er, nachdem er salutiert hat.
“Was gibt es denn?”, will der Kommandant wissen. Der Mann zögert und sieht über die Schulter seines Vorgesetzten zu mir. “Anna ist meine persönliche Assistentin. In ihrer Gegenwart können Sie frei reden.”
Der junge Mann streckt einen Arm aus und hält mit zitternden Fingern ein Stück Papier hoch. “Das Warszawa Café”, keucht er, während der Kommandant ihm den Zettel abnimmt und überfliegt. “Es gab eine Explosion.”
Mir wird schlecht, als ich das höre. Das Warszawa Café war früher einmal ein teures polnisches Lokal direkt gegenüber dem Opernhaus. Seit die Deutschen in Kraków sind, ist es für sie zu einem beliebten Treffpunkt geworden. Schon in den ersten Tagen des Krieges wussten wir, dass wir um dieses Lokal einen großen Bogen machen müssen, da es dort von deutschen Soldaten nur so wimmelt. Ich weiß, die Explosion war das Werk der Widerstandsbewegung. “Was für eine Explosion?”, will der Kommandant wissen.
“Eine Explosion, die durch einen Sprengkörper ausgelöst wurde, Herr Kommandant.”
“Sie meinen eine Bombe?”
Der Soldat nickt. “Es gab Opfer unter den Offizieren.”
Der Zettel fällt dem Kommandanten aus der Hand. Er sieht völlig verblüfft drein. Die Vorstellung, dass jemand ein Bombenattentat auf deutsche Soldaten verübt, scheint über sein Fassungsvermögen hinauszugehen. Sowohl der Soldat als auch ich sehen ihn abwartend an, weil wir beide wissen wollen, wie er darauf reagieren wird. Zu unserer Verwunderung zieht er sich wortlos ins Schlafzimmer zurück. Ich werfe dem jungen Mann einen fragenden Blick zu, da ich hoffe, dass er etwas mehr ins Detail geht. Doch er sagt nichts und sieht mich auch nicht an, sondern tritt von einem Fuß auf den anderen. In der Ferne heulen Sirenen.
Der Kommandant kommt aus dem Schlafzimmer, er trägt wieder seine Jacke. “Ich muss los. Stanislaw wird dich nach Hause fahren”, bemerkt er in meine Richtung, ehe er die Wohnung verlässt. Der Soldat nickt mir kurz zu und wirft die Tür hinter sich ins Schloss.
Ich laufe zum Fenster an der Nordseite der Wohnung und sehe auf der anderen Seite des Stadtzentrums Rauch und Flammen in den Himmel aufsteigen.
Jakub
, geht es mir durch den Kopf.
Alek.
Ich lege die Stirn gegen das kalte Glas, im Geist sehe ich ihre Gesichter vor mir.
Ach, ihr dummen Jungs, was habt ihr bloß angestellt?
Als ich mich umdrehe, wird mir klar, dass ich allein in der Wohnung bin und der Kommandant angesichts eines solchen Vorfalls für viele Stunden nicht heimkommen wird. Ich kann in sein Arbeitszimmer gehen und alle seine Unterlagen nach wichtigen Informationen durchsuchen. Die ganzen Monate über lief meine gesamte Planung auf einen solchen ungestörten Moment hinaus – nun kommt er zu spät. Diese Ironie des Schicksals lässt mich laut auflachen, meine Stimme hallt von den hohen Wänden zurück.
Plötzlich aber verstumme ich. Die Welt ist soeben explodiert, und zweifellos sind diejenigen im Mittelpunkt des Infernos, die ich am meisten liebe. Ich muss etwas unternehmen! Ich greife nach meinem Mantel und laufe aus dem Haus in die Nacht.
Nach wenigen Metern bleibe ich auf der Straße stehen. Wohin soll ich gehen? Ich weiß, es ist gefährlich, und die Bewegung würde es nicht wollen – trotzdem renne ich in Richtung Stadtmitte. Die Leute auf der Straße werfen mir merkwürdige Blicke zu, doch als ich mich dem Marktplatz nähere, scheint mein fast hysterischer Zustand der Situation angemessen zu sein. Sirenen heulen, Gestapo-Leute brüllen Anweisungen, und die Polen, die in der Zeit der Besatzung gelernt haben, sich von allem fernzuhalten, was sie in Schwierigkeiten bringen könnte, rennen nun neugierig zum Schauplatz des Anschlags. Ich folge der Menge durch die ulica Stolarska.
“Eine Bombe”, höre ich jemanden dicht neben mir sagen. “Nazis wurden getötet”, weiß ein anderer zu berichten. Sie alle hören sich beinahe schadenfroh an, aber ich kann nur an meinen geliebten Jakub und an den tapferen, mutigen Alek denken. Bestimmt gehörten sie zu denjenigen, die die Bombe zündeten. Geht es ihnen gut? Leben sie überhaupt noch?
Kurz vor dem Platz hat die Polizei eine Straßensperre errichtet. “Hier geht es nicht weiter, Fräulein”, spricht mich ein Wachmann an, als ich vorbeigehen will.
“Aber ich wohne dahinten …”, behaupte ich und zeige auf den Marktplatz.
Der Mann schüttelt den Kopf. “Tut mir leid, keine Ausnahmen. Nehmen Sie einen
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