Der Kommandant und das Mädchen
anderen Weg.”
Ich gehe nach links zur ulica Tomasza, von da nach rechts in die ulica Floriańska, die parallel zu der Straße verläuft, die ich ursprünglich nehmen wollte. Zwar ist sie nur einen Block vom Schauplatz der Explosion entfernt, dennoch hat die Polizei vergessen, sie ebenfalls abzuriegeln. Sie ist so gut wie menschenleer, aber als ich hindurchgehe, bleibe ich dennoch dicht an den Gebäuden und im Schutz der Schatten. Als ich mich dem Lokal nähere, hängt dichter Rauch in der Luft, der in meiner Kehle brennt und mir die Sicht nimmt. Glassplitter knirschen unter meinen Schuhen. Ich erreiche das Ende der Straße, die Sackgasse am Florianstor. Hier an der mittelalterlichen Stadtmauer sahen Łukasz und ich bei seinem ersten Ausflug in die Stadt die deutschen Soldaten, vor denen er solche Angst hatte.
Plötzlich kommt eine Hand aus einem Hauseingang geschossen und hält mich brutal an der Schulter fest. “Heh!”, rufe ich, während mich ein Fremder in eine dunkle Gasse zerrt. Meine Arme werden gepackt, und jemand hält mir den Mund zu. Ich überlege, ob es vielleicht die Gestapo ist, aber die würde sich nicht die Mühe machen, mich in eine Gasse zu schleppen. Ich versuche mich zu befreien. Als es mir nicht gelingen will, beiße ich kurzentschlossen in die Hand, die mir auf den Mund gedrückt wird. Plötzlich werde ich losgelassen.
“Autsch!”, höre ich eine Frauenstimme.
“Was soll das?”, bringe ich nach Luft ringend heraus. Ich drehe mich zu meiner Angreiferin um, die ihr Gesicht hinter einem dicken Wollschal versteckt.
“Schhht.” Sie nimmt den Schal weg, zum Vorschein kommt ein vertrautes Gesicht.
“Marta!”, rufe ich aus. Ihr Gesicht weist Schrammen auf und ist mit Ruß bedeckt. Offenbar ist sie in der Nähe der Explosion gewesen. “Woher …”
“Du hättest nicht herkommen dürfen”, weist sie mich zurecht, als hätte sie ein kleines Kind vor sich. “Das ist zu gefährlich. Die Gestapo nimmt jeden mit, der nicht so aussieht, als würde er hierher gehören. Die hätten dich festnehmen können!”
“Tut mir leid, aber ich musste herkommen. Ich war krank vor Sorge. Was ist mit Jakub? Und Alek?”
“Sie leben beide”, erwidert sie mit erstickter Stimme und sieht zur Seite.
Ich packe sie an den Schultern. “Was ist?”, fahre ich sie an und erhebe meine Stimme dabei.
“Schhht”, macht sie wieder und beobachtet wachsam die Straße.
Ich werde wieder leiser, lockere jedoch nicht meinen Griff. “Sag mir, was passiert ist.”
An ihrem Zögern erkenne ich, dass sie nicht weiß, wie viel sie mir sagen soll. “Jakub wurde bei der Explosion verletzt …”
Mir bleibt das Herz stehen. “Verletzt? Wie?”
“Bei der Explosion. Ich kenne nicht die Einzelheiten. Ich weiß nur, er wurde schwer verletzt, aber er hat überlebt.” Ihre Augen spiegeln ihre Besorgnis wieder. Ich habe immer vermutet, dass sie Gefühle für meinen Mann hegt. Als ich jetzt in ihr Gesicht sehe, weiß ich es mit Gewissheit.
“Ich muss zu ihm”, erkläre ich. “Sag mir, wo er ist.”
Sie schüttelt den Kopf. “Nein, Emma, das geht nicht. Jakub wurde aus der Stadt gebracht. Alek hat den Befehl erteilt, dass keiner von uns ihm folgen darf. Es ist zu gefährlich, jedenfalls im Moment.”
Ich koche vor Wut, als ich diese Worte höre. “Ich bin seine Frau, und ich habe jedes Recht, ihn zu sehen!”
Martas Miene verändert sich, sie presst die Lippen zusammen. “Seine
Frau
?”, gibt sie sarkastisch zurück.
Ich gehe auf Abstand zu ihr. “Was soll denn das heißen?”
“Ich weiß, was du all die Monate über getan hast. Was zwischen dir und dem Kommandanten läuft.”
“Aber …” Meine Stimme versagt mir den Dienst. Wie kann sie davon wissen? Hat Alek es ihr gesagt? Hat sie Jakub davon erzählt, um sich zwischen uns zu drängen?
“Jakub weiß nichts davon”, erwidert sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. “Glaub mir, ich habe überlegt, es ihn wissen zu lassen, aber Alek hat es mir untersagt. Er meinte, es würde Jakub zu sehr verletzen und es würde ihn nur von seinen Aufgaben ablenken. Ich wollte es ihm sagen. Er verdient zu wissen, was für eine Frau du bist.”
Ihre Worte bohren sich wie eine Klinge in mein Herz. “Marta, du glaubst doch nicht ernsthaft … Ich tat nur, worum man mich bat. Was getan werden musste!”
“Mag ja sein.” Sie sieht mir direkt in die Augen, ihre Stimme ist kühl. “Aber ich frage mich, wer dir wirklich wichtig ist. Ob dich Jakub überhaupt
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