Der Kommandant und das Mädchen
hat, werde ich ihr sagen, was geschehen ist. Krysia gehört genauso wie die anderen zur Bewegung, und sie verdient zu erfahren, was geschehen ist. Dann aber muss ich daran denken, wie sie nach dem Besuch der Gestapo beinahe zusammenbrach. Ich muss es ihr schonend beibringen, daher warte ich, bis wir am Küchentisch sitzen und das Teewasser aufgesetzt ist. “Es gab ein Bombenattentat”, antworte ich schließlich. Meine Stimme versagt fast dabei.
“Der Widerstand?”, fragt sie, und ich nicke. “Ich habe so etwas befürchtet, als Jakub zu Besuch war.” Sie schüttelt den Kopf. “Diese dummen Jungs. Viele werden jetzt für diese Tat teuer bezahlen.”
Ihre Reaktion erstaunt mich. Zum ersten Mal höre ich, dass sie die Methoden der Bewegung infrage stellt. “Du meinst, sie hätten es nicht machen sollen?”
“Mir ist klar, warum sie es getan haben. Ich halte es bloß nicht für die klügste Taktik.”
“Ich halte es für unglaublich dumm!”, platzt es aus mir heraus. Sie erwidert nichts. “Krysia, da ist noch etwas, was du wissen solltest. Jakub wurde bei der Explosion verletzt.”
Ihr Gesicht wird kreidebleich, und sie muss sich am Herd festhalten. Aus Angst, sie könnte ohnmächtig werden, springe ich auf und bringe sie zum Stuhl. “Wie?”, fragt sie.
“Marta hat nicht gesagt, wie es passiert ist.”
“Wurde er schwer verletzt?”
“Ja”, sage ich nach einer kurzen Pause. Ich kann Krysia nicht belügen. “Aber er lebt.”
Sie schnappt erschrocken nach Luft, ihr Gesicht wird noch blasser. Sie ist keine junge Frau mehr, und Jakub ist für sie wie ein Sohn. Ich frage mich, ob es ein Fehler war, ihr alles zu erzählen. Vielleicht machen diese Neuigkeiten ihr zu sehr zu schaffen. “Jakub, Jakub”, stöhnt sie leise, drückt die Finger auf ihre Augenlider und bewegt sich leicht vor und zurück. Es ist das erste Mal, dass ich sie weinen sehe.
“Ist schon gut”, höre ich mich sagen, doch diese Worte klingen nicht so, als kämen sie aus meinem Mund. Tief in meinem Inneren schreit eine Stimme, dass Jakub schwer verletzt ist, dass ich an seiner Seite sein sollte. Wieder sehe ich Krysia an. Jakub würde wollen, dass ich ihr Kraft gebe. “Ist schon gut”, wiederhole ich. Mehrere Minuten lang stehe ich neben ihr, eine Hand auf ihrer Schulter, ohne dass ich weiß, was ich tun soll.
Als das Schluchzen endlich nachlässt, sieht Krysia auf und zieht ein Taschentuch hervor. “Was hast du sonst noch erfahren?”, fragt sie und tupft ihre Tränen ab.
Ich setze mich neben sie. “Sie haben ihn aus der Stadt gebracht. Mehr wollte mir Marta nicht verraten. Ich bestand darauf, dass sie mich zu ihm bringt, aber sie weigerte sich. Alek hat ihr das untersagt.”
Krysia atmet jetzt wieder ruhiger. “Wenn Alek sagt, es ist zu gefährlich, dann wird das auch stimmen.”
Nun ist es an mir, mich wieder aufzuregen. “Wir können doch nicht einfach hier herumsitzen und nichts tun, Krysia! Nicht, wenn Jakub verletzt ist.”
“Ich weiß, du willst irgendetwas unternehmen, Emma. Das wollen wir beide. Doch es ist durchaus möglich, dass wir im Moment gar nichts tun können, als abzuwarten und für Jakub zu beten. Trotzdem müssen wir mehr in Erfahrung bringen als das, was Marta dir erzählt hat. Morgen früh werde ich sehen, was ich herausfinden kann.”
Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit fahre, finde ich die Stadt völlig verändert vor. Nach dem Bombenattentat haben die Deutschen den Ausnahmezustand über Kraków verhängt. Die Gestapo hat die Stadt fest im Griff. Panzer stehen an allen wichtigen Kreuzungen, an jeder Ecke patrouillieren Polizisten und Soldaten und beobachten jeden Passanten argwöhnisch. Die Einwohner, die sich längst an die deutschen Besatzer gewöhnt hatten, gehen nun mit gesenktem Kopf durch die Straßen und sprechen kein Wort. Bevor ich die Burg erreiche, werde ich insgesamt dreimal angehalten, muss mich ausweisen und erklären, wohin ich unterwegs bin.
Durch diese neuartigen Kontrollen ist es bereits zwanzig nach neun, als ich endlich ins Büro komme. In den Fluren herrscht rege Betriebsamkeit, und von Malgorzata werde ich mit einem süffisanten Lächeln begrüßt. Sie lässt mich wissen, dass der Kommandant bereits zu dringenden Besprechungen unterwegs ist und erst spät zurückkehren wird.
Im Vorzimmer finde ich Berge von Unterlagen auf meinem Schreibtisch. Auf jedem Stapel liegt eine Notiz des Kommandanten mit Anweisungen, wie mit den jeweiligen Papieren zu verfahren ist.
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