Der Kommandant und das Mädchen
lässt er mich vielleicht los, und ich kann entkommen. “Ich verstehe das doch, mein Schatz, und ich verzeihe dir.”
Er schweigt und rührt sich nicht, sondern starrt nur an mir vorbei in die Finsternis. Eine Ewigkeit scheinen wir so dazustehen, wobei er mich mit seinem Gewicht unverändert gegen die Säule in meinem Rücken presst.
Auf einmal lässt er mich los und weicht vor mir zurück. Ich straffe die Schultern und versuche durchzuatmen. “Ich habe meine Frau nicht getötet”, wiederholt er, da ihm wieder klar zu sein scheint, wen er vor sich hat. Seine Stimme klingt seltsam ruhig. Gegen einen Stahlträger gelehnt sagt er: “Ich habe Margot geliebt. Ich hätte ihr nie wehtun können.” Jetzt ist er es, der mich anfleht, seine Beweggründe zu verstehen. Aber das ist nicht alles. Er versucht auch, es sich selbst einzureden. “Ich habe meine Frau geliebt. Mir blieb einfach keine Wahl.”
Ich muss an Krysias Worte denken, die mir wie aus einem längst vergessenen Traum in Erinnerung sind.
Man hat immer eine Wahl
, sagte sie zu mir, nachdem ich mich auf die Affäre mit dem Kommandanten eingelassen hatte.
Wir müssen für unser Handeln Verantwortung übernehmen. Nur so können wir verhindern, dass wir zu Opfern werden, und nur so können wir unsere Würde bewahren.
Ich erwäge, das dem Kommandanten zu sagen, doch als ich ihm einen Blick zuwerfe, weiß ich, es ist nutzlos. Er würde nicht verstehen, was ich ihm klarzumachen versuche.
“Ich war einmal ein guter Mensch, Anna”, erklärt er plötzlich. Sein Blick ist auf das Wasser gerichtet. Sein Gesicht hat wieder diesen verlorenen Ausdruck angenommen, den ich so oft sah, wenn er in seinem Büro am Fenster stand und auf die Stadt hinausschaute. Ich weiß, er denkt jetzt an Margot und an die Zeiten vor dem Krieg. “Ich veränderte mich so allmählich, so schleichend, dass es mir nicht auffiel.” Zum ersten Mal höre ich ihn eingestehen, dass er Fehler gemacht hat.
“Du bist immer noch ein guter Mensch”, sage ich, stelle mich zu ihm und nehme seine Hand. Jetzt, da er verwundbar ist, habe ich vielleicht doch noch eine Chance zu entkommen. “Du kannst immer noch ein guter Mensch sein.”
Er schüttelt den Kopf und zieht seine Hand zurück. “Dafür ist es jetzt zu spät.”
“Es ist nicht zu spät, Georg. Bitte”, flehe ich ihn an und lege meine Hand auf seinen Arm.
Näher
, fordere ich mich stumm auf.
So nah, dass er den Duft deiner Haare riechen und sich an die guten Zeiten erinnern kann.
“Wir können immer noch gemeinsam weggehen – du und ich und unser Kind.”
Wieder weicht er zurück und wiederholt verbittert: “
Unser
Kind? Woher soll ich wissen, dass es überhaupt mein Kind ist?” Er zeigt auf die Heiratsurkunde und die Ringe, die er immer noch zusammen mit seiner Waffe in der Hand hält. “Du bist verheiratet, Anna. Es könnte auch sein Kind sein.”
Emma ist verheiratet, aber nicht Anna, denke ich insgeheim. “Ich habe meinen Mann seit mehr als drei Jahren nicht mehr gesehen”, lüge ich. “Seit Kriegsbeginn nicht mehr. Ich weiß ja nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt.” Abermals gehe ich dichter an ihn heran. “Es ist dein Kind, Georg.” Ich sehe ihm an, dass er meinen Worten glauben möchte.
“Ja, vielleicht …”
“Du hast gesagt, du wünscht dir eine Familie und Kinder”, rede ich weiter, damit seine Überlegungen nicht in eine verkehrte Richtung abschweifen. “Das ist unsere Chance. Wir können von hier weggehen und anderswo ganz von vorn anfangen. Bitte.” Zwar antwortet er nicht, doch es ist offensichtlich, dass er über meine Worte nachdenkt. Er geht auf der Brücke hin und her, verzieht mal den einen, mal den anderen Mundwinkel, während er mit seinen widerstreitenden Gefühlen ringt. Bis jetzt habe ich nie erlebt, dass er nicht weiß, was zu tun ist. “Niemand muss die Wahrheit erfahren”, füge ich noch hinzu.
Dann auf einmal geht eine Wandlung in ihm vor. “Ich kenne die Wahrheit”, sagt er kühl. “Ich weiß, du hast mich belogen, Anna.” Sein eisiger Blick verrät mir, dass ich sein Herz nicht mehr zurückgewinnen kann. Mein Verrat und meine Lügen wiegen noch schwerer als mein Glaube, sie sind das, womit er nicht leben kann. Es gibt nichts, was ich sagen könnte, um ihn umzustimmen. Seine Hand zittert vor Wut, als er die Waffe hebt.
Einen Moment lang überlege ich ihn anzuflehen, mich am Leben zu lassen, dann aber entscheide ich mich dagegen. Wenn meine Worte vom gemeinsamen Kind und von
Weitere Kostenlose Bücher