Der Kommissar und das Schweigen - Roman
der Dunkelheit stand. Das ist ja wie im Film ... wie in einem richtig schlechten B-Movie mit schlampigem Schnitt und nicht synchronisiertem Ton. So eine Scheiße!
Möglicherweise war auch der Wein mit Schuld daran, aber obwohl es schon nach zwei Uhr war, fühlte er sich in keiner Weise müde. Ganz im Gegenteil. Eher energiegeladen. Voller Tatkraft.
Dann fiel ihm ein, worum es eigentlich ging.
Es war höchste Zeit, sich das Elend anzusehen, beschloss er, als er wieder bei den Autos angekommen war. Er hatte ja sowieso keine andere Wahl.
Wie immer.
Der Reporter von der Allgemejnen machte offensichtliche Anstalten mitzukommen, aber der Hauptkommissar drückte ihn entschlossen wieder zurück in sein Auto. Stattdessen war es Kluuge, der ihn führen und mit seiner Taschenlampe leuchten musste. Dem Hauptkommissar fiel ein, dass er die Sache mit dem Kaffee völlig vergessen hatte. Hoffentlich hatten es schon das Versprechen und sein Zeichen der Fürsorge getan. Der Polizeianwärter war von den Erlebnissen ein wenig schockiert gewesen, das hatte er auf den ersten Blick gesehen. Was ja auch kein Wunder war.
Die Techniker – zwei junge Männer in grünen Overalls – hatten die Stelle mit rotweißem Band abgesperrt, und ein paar große Stableuchten standen auf Stativen und warfen grelles Flutlicht über den Platz. Van Veeteren blieb in ein paar Metern Entfernung stehen, wo er nicht alles sehen musste. Ein Mann in den Fünfzigern mit schütterem Haar trat zu ihm und stellte sich als Suijderbeck vor, Kriminalkommissar aus Rembork.
»Van Veeteren. Wie schaut’s aus?«
Suijderbeck zuckte mit den Schultern.
»Schrecklich. Ein Mädchen von dreizehn, vierzehn. Vergewaltigt. Eingedrückter Kehlkopf, wie ich annehme. Wenn sie Glück hatte, ist es in umgekehrter Reihenfolge passiert.«
»Und was sagt die Wissenschaft noch?«
»Ist wahrscheinlich nach der Tat hierher gebracht worden«, sagte Suijderbeck. »Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass es hier passiert ist. Aber die Kollegen sind noch nicht fertig.«
»Sperma?«
Suijderbeck schüttelte den Kopf.
»Offensichtlich nicht.«
»Aber trotzdem vergewaltigt?«
»Auf jeden Fall penetriert«, seufzte Suijderbeck. »Womit auch immer. Und hier und da geschlagen.«
Van Veeteren schüttelte sich. Ein älterer, buckliger Mann tauchte hinter dem Kommissar auf. Er stellte sich als Doktor Monsen vor und kam dem Hauptkommissar vage bekannt vor. Und das war er offensichtlich auch.
»Van Veeteren?«, rief er aus, als er sah, wen er da begrüßte. »Was, zum Teufel, machen Sie denn hier? Sind Sie versetzt worden?«
Der Hauptkommissar ignorierte den leutseligen Ton.
»Wissen Sie, womit wir es hier zu tun haben?«, fragte Monsen. »Ich meine, der Fundort und so ...?«
»Dazu kommen wir später.«
»Das denke ich mir. Wollen Sie einen Blick drauf werfen?«
Van Veeteren seufzte und schob die Hände in die Taschen.
»Dazu sind wir wohl gezwungen.«
Er ging um den Stein und einen der hockenden Techniker herum. Richtete seinen Blick auf den Lichtkegel.
An den Stamm einer großen Espe gelehnt, lag – grotesk von den kräftigen Lampen angestrahlt – ein dünner Mädchenkörper. Van Veeteren hatte genug Zeit gehabt, sich auf diesen Anblick vorzubereiten, aber die unretuschierte Wirklichkeit traf ihn dennoch wie ein Faustschlag im Magen. Immer der gleiche alte Faustschlag. Dieser bleiche Körper war hier und da – vor allem im Leistenbereich und um Hals und Brust – marmoriert von großen, dunklen Flecken, und die Schenkel waren gestreift von eingetrocknetem Blut. Der Kopf war ganz zur Seite abgeknickt, die Zunge ragte ein Stückchen zwischen den dünnen Lippen hervor, und die Augen waren in verständnisloser Angst erstarrt.
Clarissa Heerenmacht. Er erinnerte sich sogar noch an ihren Namen.
Er rechnete nach und kam zu dem Schluss, dass es ungefähr eineinhalb Tage her sein musste, seit er sich mit ihr in dem großen Raum hinten in der Kolonie unterhalten hatte.
Dann spürte er einen Moment lang einen kräftigen Schwindel, worauf die Galle in ihm hochstieg und deren bitterer Geschmack ihn in die Wirklichkeit zurückholte.
Da stimmt etwas nicht, dachte er und zog sich wieder in die Dunkelheit zurück.
IV
23. – 28. Juli
16
Der Wald war dicht und verwachsen.
Weder Mensch noch Tier kam ihm in die Quere, aber aus der Ferne konnte er die Kirchenglocken läuten hören. Vielleicht sollte das dazu dienen, ihm die Orientierung zu geben, die er brauchte. Obwohl der
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