Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Mund?«
»Ja.«
»Trink ein bisschen Coca Cola. Das hilft meistens.«
Die Psychologin warf ihm einen scharfen Blick zu, aber Marieke Bergson tat, wie ihr geheißen, und streckte ihren Rücken ein wenig.
»Wie alt bist du?«
»Dreizehn.«
»Wo wohnst du?«
»In Stamberg.«
»Und du gehst in die sechste Klasse?«
»Ich komme jetzt in die siebte.«
»Aber im Augenblick hast du Sommerferien?«
»Ja.«
»Und bist im Ferienlager draußen in Waldingen?«
»Ja.«
»Wenn ich es recht verstanden habe, dann willst du uns etwas erzählen.«
Keine Antwort.
»Stimmt das?«
»Ja. Vielleicht ...«
»Soll ich dir Fragen stellen, oder willst du lieber allein erzählen?«
»Lieber Fragen ... glaube ich.«
»Okay. Nimm dir ein Brötchen, wenn du möchtest.«
Der Hauptkommissar trank selbst einen Schluck Kaffee. Die Gesichtsfarbe des Mädchens war etwas kräftiger geworden, wie ihm schien, aber die Psychologin sah immer noch genauso käsig aus. Hat bestimmt selbst so ihre Probleme, entschied er und nahm einen erneuten Anlauf.
»Du weißt, was mit einer deiner Freundinnen passiert ist?«
Marieke Bergson nickte.
»Clarissa Heerenmacht«, sagte der Hauptkommissar. »Sie ist tot.«
»Ja ...« Die Stimme zitterte ein wenig.
»Jemand hat sie getötet. Du verstehst sicher, dass wir versuchen müssen, denjenigen zu finden, der das getan hat?«
»Ja. Das verstehe ich.«
»Willst du uns dabei helfen?«
Wieder ein Nicken und ein wenig Coca Cola.
»Kannst du mir sagen, warum die anderen Mädchen nicht dabei helfen wollen?«
»Sie haben uns das befohlen.«
»Wer?«
»Die Schwestern.«
»Sie haben euch gesagt, ihr sollt euch weigern, die Fragen der Polizei zu beantworten?«
»Ja, wir sollten nichts sagen.«
»Haben sie euch auch gesagt, warum?«
»Ja. Das war eine Probe. Gott wollte uns prüfen, ob wir stark genug wären ... um weiterzumachen.«
»Womit weiterzumachen?«
»Nun ja ... ich weiß nicht.«
»Vielleicht weiter im Lager zu bleiben?«
»Ich denke schon.«
Marieke Bergson durchfuhr ein Schluchzen. Ihren roten Augen nach zu schließen hatte sie schon ziemlich viel geweint, und er hoffte nur, es reichte aus, damit sie es schaffen würde, das hier ohne Tränen durchzustehen. Vermutlich waren weder er selbst noch diese Psychologin besonders geschickt im Umgang mit einer zusammengebrochenen Jugendlichen. Er erinnerte sich kurz an den einen oder anderen missglückten Versuch aus seiner Laufbahn.
»Sie haben euch also gesagt, dass ihr nach Hause geschickt würdet, wenn ihr uns helft, den Mörder zu schnappen?«
»Ja ... nein, so war das nicht gemeint. Aber irgendwie wurde alles so verkehrt irgendwie ... die wussten bestimmt noch nicht, was da am Montag passiert ist ...«
»Aber sie änderten ihre Meinung nicht, als sie es erfuhren?«
»Nein.«
»Und willst du wieder zurück zu ihnen?«
»Nein.«
Die Antwort kam so leise, dass er sie nur mit Mühe und Not verstehen konnte. Ein Flüstern, so zart, dass es nicht einmal Gott hören sollte, dachte er.
»Wie hast du erfahren, dass Clarissa tot ist?«
Sie zögerte.
»Das war ... wir wussten natürlich am Sonntagabend, dass sie nicht da war. Sie war bei der gemeinsamen Zusammenkunft und auch beim Essen nicht da, aber sie haben nichts dazu gesagt.«
»Gar nichts?«
»Erst am Montagmorgen. Da erzählte Schwester Madeleine, dass sie nach Hause gefahren wäre.«
»Moment mal. Kannst du dich daran erinnern, wann du Clarissa das letzte Mal gesehen hast?«
Marieke Bergson dachte nach. Sah ihn zum ersten Mal direkt an, ohne seinem Blick auszuweichen, während sie sich auf die Lippen biss und nachzurechnen schien.
»Das war am Sonntag«, sagte sie. »Nachmittags ... wir hatten eine Stunde frei, um vier Uhr glaube ich, und ich weiß, dass sie mit ein paar anderen Mädchen den Weg hinunter gegangen ist ... ja, vielleicht auch gegen halb fünf.«
»Ihr hattet eine Stunde frei?«, hakte Van Veeteren nach. »Aber eigentlich hättet ihr etwas anderes machen sollen, oder?«
»Ja, wir sollten eigentlich Gruppenspiel haben.«
»Gruppenspiel?«
»Ja. Über die Gebote.«
Van Veeteren nickte. Programmänderung, dachte er. Warum? Das war weniger als zwei Stunden, nachdem er sich von dort verabschiedet hatte und weggefahren war.
»Und du bist dir sicher, dass du sie danach nicht noch einmal gesehen hast?«
Wieder dachte sie nach.
»Ja. Ich habe sie danach nicht mehr gesehen.«
»Weißt du, wer mit ihr gegangen ist?«
»Ja ... ich denke
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