Der Kommissar und das Schweigen - Roman
war, aber Van Veeteren war nicht daran interessiert, diese Frage zu vertiefen.
Auf jeden Fall hatte der Zahn der Zeit reichlich an Uri Zander genagt; seine Haare waren inzwischen nur noch an den Seiten und im Nacken lang – oben war er ganz kahl –, und ein zunehmender
Hängebauch in Verbindung mit einem ziemlich krummen Rücken ließ ihn an ein schlampig gezeichnetes Fragezeichen erinnern.
Besonders glücklich sah er auch nicht aus.
»Möchten Sie was?«, fragte er, als der Hauptkommissar sich vorsichtig in ein rotes Dingsbums aus Schaumstoff setzte.
Van Veeteren schüttelte den Kopf.
»Ich habe auch gar nichts da.«
Er nahm seine runde Brille ab und putzte sie mit einem Hemdzipfel. Das war eine enge, geblümte Angelegenheit; der Hauptkommissar meinte sich an das Muster noch aus einem dieser Sommer im Morgen seines Lebens zu erinnern, ’67 oder ’68 musste das wohl gewesen sein, als er noch so neu im Spiel war, dass er ab und zu als uniformierter Repräsentant der gesellschaftsbewahrenden Kräfte abkommandiert wurde. Als die uniformierte Polizei zu wenig Personal hatte, und das kam ziemlich häufig vor.
Zu diesen haschduftenden Musikfestivals und Liebesfesten, die – zumindest in der Retrospektive – die reinste Provokation gewesen sein mussten.
Es gab schönere Erinnerungen, sogar in seinem Leben.
»Ja, wie schon gesagt«, begann er, »so sind wir eigentlich nicht an Ihnen interessiert, sondern an Ihrer früheren Frau, Madeleine Zander.«
»Ach Gott, ja«, sagte Herr Zander.
»Ich gehe davon aus, dass Sie wissen, worum es geht«, fuhr der Hauptkommissar fort. »Wir bearbeiten ja die Mädchenmorde draußen in Sorbinowo, und in irgendeiner Form ist diese Sekte, zu der sie gehört, darin verwickelt. Es waren drei Frauen im Lager, Madeleine war eine davon ... wie Sie vielleicht gehört haben, haben alle drei sich von Anfang an geweigert, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Ich weiß ja nicht, was Sie davon halten ...«
»Verdammte Idioten«, sagte Uri Zander.
Sieh an, dachte Van Veeteren. Wie schön. Er hatte es zwar nicht befürchtet, aber es hatte natürlich ein gewisses Risiko bestanden,
dass sich Uri Zander auf die Seite seiner Exfrau stellen würde. Es war mehr als deutlich, dass das unnötige Befürchtungen gewesen waren.
»Diese verfluchte Kirche«, führte sein Gastgeber aus. »Und dann noch dieser Priester ... tja, meiner Meinung nach sollte man die ganze Bagage einsperren, die sind doch eine Schande für die Stadt. Und für die ganze Menschheit.«
»Sie kennen sie also gut?«, fragte der Hauptkommissar.
»Ist das heutzutage zu vermeiden?«, konterte Uri Zander und setzte sich die Brille wieder auf. Offenbar war er mit dem Resultat nicht zufrieden, denn er nahm sie unmittelbar danach wieder ab und begann sie von neuem zu putzen.
»Wie lange waren Sie mit Madeleine verheiratet?«
»Acht Jahre«, antwortete Uri Zander. »Zwischen ’74 und ’82. Sie war erst zwanzig, als wir uns kennen lernten ... und sie wurde gleich beim ersten Mal schwanger. Wir waren auf Tournee, ich hab natürlich gedacht, sie wäre ein ganz normaler Groupie, aber sie war fast noch unschuldig, und tja, dann kam es, wie es kommen musste ...«
»Sie haben geheiratet, bevor das Kind geboren wurde?«
»Ja, natürlich. Schließlich hatte ich sie damals ja auch gern. Außerdem war es sowieso an der Zeit, mit der Musik aufzuhören. Da war so manches, das einfach zu viel geworden war, wenn Sie verstehen, was ich meine?«
Van Veeteren nickte routiniert.
»Ja, wir sind also zur Ruhe gekommen, das kann man wohl so sagen. Ich fing an, richtig zu arbeiten, und Madeleine kümmerte sich um Janis, unsere Tochter ... tja, und das hätte sicher auch gut gehen können, jedenfalls blieben wir acht Jahre zusammen, bei den meisten knallt es ja schon viel früher, nicht wahr?«
»Kann schon sein«, bestätigte Van Veeteren, der seinerseits dreimal so lange ausgehalten hatte. »Keine weiteren Kinder?«
Uri Zander schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber wenn man es im Nachhinein betrachtet, dann muss man wohl sagen, dass es von Anfang an schief lief.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun ja, ich weiß nicht. Sie war ja noch so schrecklich jung und unerfahren. Ich bin sieben Jahre älter, tja, es sah so aus, als müsste sie unbedingt alles Mögliche ausprobieren, nachdem das Mutterglück verklungen war ... und das war ziemlich schnell verklungen, das können Sie mir glauben.«
»Erzählen Sie«, sagte Van Veeteren.
Uri Zander
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