Der Kommissar und das Schweigen - Roman
dass er sich nicht konzentrieren konnte. Jedenfalls nicht länger als für drei Sekunden. Wie sehr er auch versuchte, seine Gedanken zu zähmen und zu lenken, mit schlafwandlerischer Gewissheit kehrten sie immer zu dem gleichen Problemfeld zurück.
Die Ferien.
Der bevorstehende Urlaub und die Reise mit Maureen und Sophie. Da liegt also der Hase begraben! dachte er verwirrt. Etwas, was er ganz offensichtlich gelesen hatte.
Maureen. Mit einigen kleinen Unterbrechungen war er jetzt seit vier Jahren mit ihr zusammen, und während dieser ganzen Zeit war es nie dazu gekommen, dass sie zusammenzogen – also, so richtig. Was natürlich an einer Reihe diffuser Faktoren und Gründe lag, aber in allererster Linie – und darüber konnte kaum der geringste Zweifel bestehen – an seiner eigenen Feigheit und offenkundigen Ambivalenz.
Wenn eine Ambivalenz überhaupt offenkundig sein konnte?
Bei mir ist es jedenfalls so, dachte Jung.
Aber nun stand sie kurz bevor, das wusste er. Die Entscheidung. Es gab Punkte, an denen man entweder die Sachen und Dinge weiterführen muss oder aber alles geht den Bach runter, das begriff sogar ein frisch ernannter Kriminalinspektor. Und diese gemeinsame Urlaubsreise – drei Wochen mit dem Auto durch England und Schottland mit Maureen und ihrer fünfzehnjährigen Tochter – ja, das war so ein Punkt. Da gab es gar keinen Zweifel, wie schon gesagt. Das war natürlich genauso unausgesprochen wie vieles andere in ihrer Beziehung, obwohl es ja glasklar wie ... ja, wie Glas war. Genau.
Er seufzte und trank einen Schluck von seinem Saft, mit dem ihn eine blonde Pflegerin beglückt hatte.
Er mochte sie ja. Alle beide. Vielleicht liebte er Maureen sogar, zumindest ab und zu, und vermutlich würde er niemals,
zu keiner Zeit, überhaupt zu einem anderen Menschen stärkere Gefühle empfinden, das nahm er zumindest an. Warum also dann das Zögern? Warum?
Aber wenn er wirklich wüsste, warum er zögerte, würde das die Sache eigentlich viel leichter machen?
Vielleicht nicht, dachte er, und als er sich eine Zukunft vorzustellen versuchte – und ein zunehmendes Alter – so ganz ohne Maureen und Sophie, so waren das nicht besonders erbauliche Bilder, die sich vor seinen trüben Junggesellenaugen abzeichneten.
Fußball. Bier. One-night-stands, wie Rooth sich auszudrücken pflegte. Einsame Fernsehabende und trostlose Haufen schmutziger Wäsche, die zu bewältigen ihm nie gelang. Und enervierende Telefongespräche mit einer senilen Mutter, die wissen wollte, warum sie nie Enkelkinder bekam, denen sie zu Weihnachten Schals stricken konnte.
Strick nur schon mal einen, pflegte er zu sagen. Ist alles in Arbeit. (Sie vergaß ja doch immer alles, was er gesagt hatte.)
Die gleichen Bilder wie damals, bevor er Maureen kennen gelernt hatte, mit anderen Worten. Nur ein wenig älter und um einige Stufen grauer.
Warum also dieses Zögern?
Maureens Stärke? Ihre ruhige Zielstrebigkeit? Sollte das eine Bedrohung sein? Sophies Schulmüdigkeit und ihre Perioden unbegründeter schlechter Laune?
Die Furcht, beherrscht zu werden?
Kaum ein Grund.
Etwas aufzugeben, von dem er schon lange nicht mehr wusste, was es eigentlich war? Ging es darum?
Zu verschwinden? Dein Leben ist eine Fußspur im Wasser, pflegte Reinhart immer zu sagen. Was spielte das dann also für eine Rolle?
Verdammte Scheiße, dachte Jung und trank sein Glas leer. Ich werde Kopf oder Zahl spielen. Oder ich frage einfach sie und verlasse mich drauf, dass ihr Urteil besser ist als meins. Ja, das wäre natürlich eine elegante Lösung.
Und besser, es noch vor der Reise hinter sich zu bringen, beschloss er, gerade als Matthorst herauskam und mitteilte, dass Ulriche Fischer bereit sei, ihn zu empfangen.
Wäre sicher nicht schlecht, sich jetzt ein wenig mehr zu konzentrieren. Was hatte Reinhart gesagt? Reinhart, der auch noch Vater werden sollte?
Bescheidenheit?
Na, dann man los.
»Entschuldigen Sie«, sagte er und ließ seinen Notizblock auf den Boden fallen. »Entschuldigen Sie, dass ... dass ich mich Ihnen aufdränge, aber die anderen haben mich sozusagen hergeschickt.«
Sie antwortete nicht. Vielleicht glätteten sich die beiden Falten zwischen den Nasenflügeln und Mundwinkeln ein wenig, aber das konnte auch reine Einbildung sein.
»Ich habe ein paar Fragen, aber Sie müssen mir natürlich nicht antworten, wenn Sie nicht wollen ...«
Er schob sich den Stift quer zwischen die Lippen und blätterte seinen Block auf.
»... ich
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