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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Aufsicht des Herzmonitors. Ein Alptraum kam. Ich war wieder in
dem Irrgarten und geriet in eine Sackgasse. Der lauernde Lügner
erschien. Sein Körper war in Nebel gehüllt, und der Atem
quoll stoßweise unter seiner Kapuze hervor.
    »Du glaubst, daß mein Traum nicht mehr in dir ist,
Schläfer«, sagte er. »Du glaubst eine Lüge. Am
Lotosfaktor ist mehr dran, als du je ergründen wirst,
Schläfer, mehr als du dir auch nur vorzustellen wagst.«
    Ich wachte zitternd auf. Der Herzmonitor schrie wie eine nasse
Katze.
    Die Schwester mit dem Totenschädelgesicht kam herein und
fragte mich, was los sei. Ich erklärte ihr, daß ich nach
Hause wollte.
     
    Selbst in unserer pornographischen Zeit, in der Sex so
allgegenwärtig geworden ist, daß er eher
Überdruß als Kinder hervorbringt, gibt es bei Erwachsenen,
zwischen denen es prickelt, trotzdem noch gewisse Aktivitäten,
die Intimität erzeugen und einem das Gefühl geben
können, etwas Wunderbares zu erleben. Die Stellung mit dem Namen
›Wer’s findet, darf’s behalten‹ ist eine davon,
die gemeinsame Benutzung eines Regenschirms eine andere. Als Urilla
und ich den Mandala-Psychosalon in der Innenstadt von Utuk
verließen und zu ihrer Wohnung planschten, zwang uns ihr
Regenschirm, sozusagen auf Tuchfühlung zu gehen, was
äußerst erotisch war. Für die ersten hundert Schritte
waren wir damit zufrieden, die würzige, salzige Meeresluft zu
atmen und über den Traum nachzusinnen, den wir uns eben zu
Gemüte geführt hatten, ein erstaunlich spannendes
Piratenabenteuer mit dem Titel Unbekannte Parseks. Schließlich sagte ich jedoch, wie traurig mich der Gedanke
an meine bevorstehende Abreise machte.
    »Ich muß auch bald weg«, erwiderte Urilla.
»Selig gibt mir Studienurlaub. Ich habe die Absicht, eine
große Heldin zu werden.« Es klang wie ›Ich habe die
Absicht, Grundstücksmaklerin zu werden‹, so beiläufig
war ihr Ton.
    »Eine Heldin?«
    »Ja – wie Kapitän Hornlaster in dem Traum
eben.«
    »Wie wird man denn heutzutage noch eine Heldin?«
    »Man findet den Todesbaum«, sagte sie. »Man
tötet die Mutter des lauernden Lügners, bevor es ein
zweites Vorka-Massaker gibt.«
    »Ein Unternehmen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt
ist.«
    »Nicht, wenn man Verbündete hat. Na komm, Quinny! Machst
du mit? Selig glaubt, daß wir es schaffen können. Er ist
bereit, eine solche Expedition auf jede Weise zu unterstützen.
Er wird uns sogar seinen Roboter geben – diese
Iggi-Maschine.«
    »Ich bin Kritiker«, sagte ich und nahm ihr den
Regenschirm ab. »Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt lieber
auf meinen vier Buchstaben.«
    Regentropfen glitzerten in den Facetten ihrer diamantenen Augen.
»An dir ist mehr dran, als du glaubst, mein Freund. Du hast die
Lotoskapsel besiegt. Steht dir nicht der Sinn danach, ein
größeres Wild zu jagen?«
    Überall waren Pfützen, in denen sich die Wohnungen von
Utuk spiegelten. Wenn ich mich ein wenig konzentrierte, konnte ich
die Pfützen als Löcher in einer hauchdünnen
Straße betrachten, durch die man flüchtige Blicke auf eine
unterirdische Stadt erhaschen konnte. Statt über die
Pfützen wegzusteigen, begann ich mittendurch zu latschen. Ich
kam ins Grübeln. Wollte ich, daß mein Leben mit seinen
unsicheren Honorarschecks und den ewigen Ablieferungsterminen so
blieb, wie es war? Natürlich nicht. Wollte ich statt dessen
reisen, aufregende Abenteuer erleben und den Ruhm einheimsen, der
irgendwann zwangsläufig an jedem hängenbleiben würde,
der dazu beitrug, ein weiteres Vorka zu verhindern? Nein, das wollte
ich alles auch nicht.
    Aber Urilla würde weggehen.
    »Na ja«, sagte ich. »Wäre vielleicht eine
Überlegung wert.«
    »Selig hat eine Theorie. Er glaubt, daß der lauernde
Lügner bei einem morbiden Kult wieder auftauchen wird, den er
›Die Alptrinker‹ nennt – ich glaube, so hießen
sie.«
    »Alptrinker«, bestätigte ich. »Der
Kapselschlucker-Untergrund.«
    »Nun, ich hab noch nie was von denen gehört, aber ich
wollte den Studienurlaub kriegen, also hab ich das Gegenteil
behauptet. Ich habe Selig erzählt, ich wüßte eine
Menge über die Alptrinker. Weißt du was über
sie?«
    Die Alptrinker. Das Wort hatte seinen eigenen Geruch, der
zugleich abstoßend und faszinierend war. Alptrinker. Trinker
von Alpträumen. Sie wurden so genannt, weil sie nur selten einen
Zephapfel aßen, der nicht vorher zu Saft zermahlen und mit
tierischem oder noch besser menschlichem Blut vermischt worden war.
Dieser

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