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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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irgendeine Droge, irgendein Gesöff
oder Gift, und in meinem Hirn ist eine Narbe, wo ich es ausprobiert
habe!«
    Eine echte Nervensäge, dieser Brown. Und
höchstwahrscheinlich wahnsinnig. Unsere Jagd auf den Todesbaum
kam mir immer mehr wie eine schlechte Idee vor.
     
    Am nächsten Nachmittag hielt ich mein Versprechen und
erschien zu der Podiumsdiskussion mit dem Titel »Traumkapseln:
Zerstören sie den freien Willen?« Eigentlich war es nur
mein Körper, der dort erschien; mein Geist war ganz woanders. Er
hatte sich in die Wahrscheinlichkeit verkrallt, daß die Jagd
auf die Hamadryade eher ein Martyrium als ein Abenteuer war und
daß ich der Sache nicht gewachsen war, wenn Figuren wie Brown
daran beteiligt waren. Glücklicherweise war die Diskussion
unstrukturiert und blieb meistens nah an der Oberfläche, so
daß es mir trotz meiner Unaufmerksamkeit fast unmöglich
war, eine nachweislich idiotische Bemerkung zu machen. Ich betonte
nachdrücklich, wie ich mich erinnere, daß SUPEREGO und
seine Verbündeten uns durch ihre unaufhörlichen
Bemühungen, das Kapselschlucken zu verbieten, von den Dingen
ablenkten, die den ›freien Willen‹ eines Menschen in dieser
Galaxis wirklich einschränkten, wofür die Armut ein
besonders berühmtes Beispiel sei.
    Dafür bekam ich Applaus.
    Die Diskussion endete schließlich, und ich ging zu unserer
Suite hinauf. Der Zimmerservice brachte Urilla, Lilit und mir eine
überteuerte Plasmidente zum Abendessen.
    Als meine Tochter erfuhr, daß sie an der bevorstehenden
Zephapfelparty nicht teilnehmen durfte, bekam sie einen Wutanfall in
der Version einer Dreizehnjährigen. Sie schmollte, machte
höhnische Bemerkungen und zog durch pure Willenskraft
Gewitterwolken über ihrem Kopf zusammen. Sie nannte mich
›ein verklemmtes Fossil‹, das in bezug auf Klamotten null
Ahnung hätte. Aber ich blieb hart. Ich war sicher, daß ein
toter Grorg nichts zu ihrer Erziehung beizutragen hatte, und die
Bruderschaft des Abgrunds noch weniger. Ich hatte nichts dagegen,
daß sie mit Jonnie dem Nachtwurm zusammen war, aber bei der
Bruderschaft des Abgrunds zog ich die Trennlinie. In meinen Augen
standen die beiden Sekten auf zwei verschiedenen Stufen der
Entartung: Wenn sich ein Nachtwurm die Haut tätowierte, dann
tätowierte sich ein Bruder des Abgrunds die inneren Organe.
    »Die Welt da draußen ist wirklich schlimm«, sagte
ich zu Urilla, als Lilit zum Psychobillardsalon des Hotels
entschwunden war. »Nachtwürmer. Brüder des Abgrunds.
Erotokapseln. Nekrophilie-Walzer. Vorka-Massaker. Todesbäume.
Manchmal frage ich mich, wie das heutzutage überhaupt noch jemand übersteht.«
    »Ich hasse es, diejenige zu sein, die es dir sagt«,
erwiderte Urilla, »aber die Welt wird kein Stück besser,
wenn du Lilit von ihr fernhältst. Hör auf, sie vor allem
Übel bewahren zu wollen.«
    »Ich muß sie doch beschützen. Wenn sie
denkt, daß sie mir egal ist, wird sie mich nicht mehr
liebhaben.«
    »Guter Gott, Quinny, das letzte, was Lilit braucht, ist,
daß du darüber nachgrübelst, ob sie dich liebhat. Natürlich tut sie’s – aber sie wird’s
nicht dauernd sagen, wie ein kleines Kind. Sie hat so schon
genug Probleme, auch ohne daß du in ihr sowas wie eine
pubertierende Vierjährige siehst.«
    »Du findest, sie sollte zur Party mitkommen, ist es
das?«
    »Kapierst du eigentlich nie was?«
     
    Zusätzlich zu Urilla, Baptizer und mir standen drei
Brüder und drei Schwestern des Abgrunds auf der Gästeliste
für die Party. Im Gegensatz dazu war Baptizers Wirbelbus nur
für vier Personen gedacht, so daß unsere Fahrt zum Grorg
lebhaft an Süßmaunzers Adaptation der Vorzeitigen
Beerdigung erinnerte. Unsere Arme und Beine hingen aus den
Fenstern, so daß der Bus wie ein schlampig gepackter Koffer
aussah. Als wir die Zikadenbucht erreichten, wußten Urilla und
ich Dinge über unsere Mitreisenden, die eigentlich keinen etwas
angingen.
    Da war Sprick, ein Bauchredner, der nur Drogen im Kopf hatte und
es lustig fand, eine tote Kröte aus der Tasche zu ziehen und sie
singen zu lassen. Da war Vultzie, die kaum mehr war als ein kleines
Mädchen – wahrscheinlich noch jünger als Lilit –,
jedoch bereits so verbraucht aussah wie ein Stück urbares Land,
dessen Besitzer den Fruchtwechsel vernachlässigt hat. Da war
Guig, der mit seinen tief in den Höhlen liegenden Augen und
seinem schlottrigen Gestell den Eindruck machte, als ob er gerade
erst exhumiert worden wäre. Da waren die Zwillinge, Bandar und
seine

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