Der Kontinent der Lügen

meine sarkastischeren Rezensionen vorlas. »Du bist nicht in
Gefahr.«
    Der Nachtwurm erbleichte. »Bei dieser Mission, zu der ihr
aufgebrochen seid, Quinjin, geht’s nicht nur darum, eine
merkwürdige Pflanze aufzuspüren. Da ist eine Religion im
Spiel, und Kräfte, die sich der Logik nicht beugen werden. Was
ich darüber weiß, hab ich nicht auf einen Schlag erfahren.
Es war ein Puzzle aus lauter Puzzles; ich mußte viele
Stücke zusammensetzen. Aber die Reise zu diesem Planeten war
lang – sehr lang –, und in den Nächten, wenn
Baptizer seinen Blutsaft nicht bekam, ging er zu Gin und Kidnip
über und erzählte mir schließlich Sachen, die er mir
eigentlich gar nicht erzählen wollte. Ich will’s mal
einfach ausdrücken. Der Baptizer, der zu dieser Party im Bauch
des Grorgs gegangen ist, war nicht der Baptizer, der zurückkam.
Der Apfel hat ihn verändert. Er hat ihn zu einem religiösen
Fanatiker gemacht. Zu einem Gothisten, wie er sich nannte. Er hatte
endlich Gott gesehen. Das hab ich hundertmal gehört: Gott,
dessen Name Goth ist. Ja, ich weiß – er hat sich seine
Bekehrung nie anmerken lassen, aber sie hat trotzdem stattgefunden;
in seinem Innern brannte die Flamme des Glaubens. Und um Goths Baum
zu schützen, um sein Versteck geheimzuhalten – den
unterirdischen Kontinent, wie er sagte –, war er zu Intrigen, zu
Verrat und sogar zu Mord bereit: zu all den Dingen, die er als Pirat
gelernt hatte. Ja, zu Mord. Dieser Züchter natürlich.
Atropos. Eine durchgeschnittene Kehle, hab ich gehört, und dazu
eine Botschaft. Und Goth wird eine Million Jahre herrschen. Tote reden nicht darüber, wo sich Schlingbaumplantagen
befinden, verstehst du.«
    Jonnie ging zum Spiegel über Lilits Frisierkommode und
kämmte sich mit der linken Hand die roten Haare. »Als
nächstes steht eine erfolglose Suche auf dem Programm. Baptizer
fängt also an, all diese Angehörigen des Treibguts
anzuheuern und sie an die ganzen falschen Orte zu schicken. Das war
echt ’ne tolle Nummer, die er da im Foyer für uns abgezogen
hat – so zu tun, als ob er den lauernden Lügner geschluckt hätte, und sich in den See zu stürzen. Und
dann schließlich das große Finale, ein
Vulkanbomberangriff auf einen falschen Baum.«
    »Das Narrenparadies«, sagte ich schwach.
Verblüfft, schockiert, fassungslos – ich war all das und
mehr.
    »Toller Titel«, sagte Jonnie. »Aber nicht so toll
wie Baptizers Idee, die Narrenparadies- Farmniederzubrennen, so
daß ihr die Hamadryade für tot erklären und die Jagd
abblasen würdet. Die ganze verrückte Scharade hätte
auch funktioniert – nur daß ihm zwei kleine Zufälle
einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Er hat nicht damit
gerechnet, daß Lilit ins Nest der Hamadryade stolpern
würde. Und er hat natürlich nicht damit gerechnet,
daß er vom Narrenparadies gelyncht werden würde,
oder?« Jonnie gab ein maßvolles kleines hähähä von sich, in dem irgendwie sein ganzer
gewaltiger, unter Mühen erworbener Haß auf Baptizer Brown
zum Ausdruck kam.
    Es ist schwierig, meine Reaktion auf diese Enthüllungen zu
beschreiben. Ich hatte das Gefühl, bis zum Kinn in einer Art
Teer zu sitzen – Baptizers Lügen, schwarz und dick –
und rasch tiefer zu sinken, wobei ich heiße Klumpen schluckte. Atropos war von demselben Mann ermordet worden, der uns zu seiner
Leiche geführt hatte… Die Hamadryade gedieh direkt unter
unseren Füßen… Baptizer war ein religiöser
Fanatiker… ein Gothist… ein Wächter des Todesbaums
gewesen! (Wenn der Apfel einen Mann wie Baptizer so dramatisch
verbiegen konnte, was würde er dann am Ende mit Lilit
anstellen?) Aber dann sah ich, wie Jonnie wieder ans Bett trat, sah,
wie er Strähnen von Lilits Haaren hochhob und über seine
Finger gleiten ließ, und ich wußte, daß unter dem
Teer, hinter dem Miasma die Möglichkeit zu handeln lag.
    »Ein unterirdischer Kontinent, hast du gesagt?«
    »Anscheinend mit einer genauso großen Fläche wie
ein Hydrasteroid«, erwiderte Jonnie. »Oder sogar noch
größer. Auch mit den richtigen Gasen. Da gibt’s
Wärme. Licht. Feuchtigkeit. Nährstoffe. Alles, was man auf
einer Traumfarm braucht, und zusätzlich noch Unsichtbarkeit.
Glaub mir, wenn es irgendeinen Hinweis darauf gegeben hätte,
daß die Kleine den Ort finden und in Schwierigkeiten kommen
würde, dann hätte ich dir alles gesagt, glaub mir. Ich bin
nicht so ein Kind, wie du denkst. Ich hätte…«
    »Das hast du schon mal gesagt«, schnarrte ich. »Du
brauchst es