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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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nicht dauernd zu wiederholen.«
    Nun ergriff Jonnie die Grorgharpune und tätschelte ihre nach
hinten zeigenden Widerhaken. »Die Jagd geht also weiter. Die
Hamadryade ist noch jung und trotzdem schon… wie hat Baptizer
sie immer genannt? Das Muttertier der Schlingbäume! Wir
müssen Lilits verborgene Höhle finden. Unser Vulkanbomber
wird nicht durch den Eingang passen, aber das macht nichts; wir
können das Miststück vom Boden aus angreifen.« Er
hielt mir die Waffe hin. »Es kommt nur drauf an, daß wir
in den Kontinent hineinkommen, weißt du. Wir arbeiten uns bis
zum Stamm vor, graben die Erde weg und legen die Pfahlwurzel
frei.« Mein Gehirn schien mit dem von Jonnie verkabelt zu sein
und ihm zu suggerieren, was er sagen sollte. »Und dann geben wir
der Hamadryade mit Hilfe dieser Nadel so viel Belladonna 29 zu
fressen, daß man damit eine Herde von Grorgs erledigen
könnte.«
    Marta Rems Prophezeiung hatte also doch noch eine Chance, sich zu
bewahrheiten. Was mochte das für ein Schatz sein, den ich vom
Leichnam der Hamadryade mitnehmen würde? Eine Medizin für
Lilits Wahnsinn? Das war das mindeste, was man als Schatz bezeichnen
konnte.
    Ich küßte den kalten, metallenen Lauf der Waffe und
spürte ein angenehmes Prickeln im Genick. Mein Herz wechselte in
einen höheren Gang: es schlug schneller und heftiger. Eine
gespenstische Kraft durchströmte mich – der zornige,
geballte Geist aller Geschöpfe, die je von den Widerhaken
durchbohrt worden waren. Das Zimmer begann im Nu zu gesunden. Bald
war die Kommode wieder zufrieden und die Lampe normal, und selbst der
Teppich war geheilt. Niemals in der Geschichte, dachte ich, weder in
der Vergangenheit noch in der Gegenwart oder der Zukunft, wird eine
Rache süßer sein. Baptizers Feldzug gegen die Hamadryade
mag so falsch gewesen sein wie ein Zephapfeltraum, aber mein Haß ist real.
    Hyperreal.

 
9

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Der Vorarbeiter

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    Der Nebel umhüllte uns wie ein Grab. Es war ein erstickender,
melodramatischer Nebel, wie ihn weniger phantasiebegabte Weber in
einen Traum einzuführen pflegten, wenn dieser mehr
Atmosphäre zu benötigen schien. Als Rudd Bruzbees Hausboot
(das er uns auf der Stelle geschenkt hatte, weil er sich wegen Lilits
Unfall so schuldig fühlte) durch die weichen Konturen und
dunstigen Wirbel des Nebels schnitt, merkte ich, daß ich
denjenigen, der beschlossen hatte, die Hamadryade unter der
Oberfläche des Planeten Uggae zu verbergen, respektierte und
sogar bewunderte. Wenn die Höhle, die wir suchten, wirklich der
einzige Zugang zum Nest des Todesbaums war, dann hatten seine
Besitzer wirklich zurecht geglaubt, er würde unbehelligt zur
Reife gelangen.
    Iggi beugte sich aus dem Fenster des Deckhauses, spähte nach
vorn und konzentrierte sich auf die Radarsichtgeräte hinter
seinen Augen. »Ein bißchen nach Steuerbord jetzt!«
befahl er Jonnie, sobald er einen Felsen, einen Vogel oder eine
besonders dichte Nebelschicht wahrnahm. »Und nun wieder
geradeaus!« In der Zwischenzeit saß ich auf dem Haufen
unserer Sachen – Kochgeschirr, Leuchtkugeln, Schlafhüllen,
Hafertrockenbrei, Vitamine, Seile, Schaufeln, Flaschen mit Belladonna
29 – und machte mir Sorgen, weil Urilla nicht da war. Der Motor
klang, als ob er gleich den Geist aufgeben würde.
    Als ich Urilla bat, im Verrückten Raben zu bleiben und sich
um Lilit zu kümmern, hatte sie natürlich exzessiv
protestiert. Sie dürstete fast ebenso sehr nach dem Saft der
Hamadryade wie ich. Aber am Ende hatte die Logik die Oberhand
behalten. Mit ihrem Wissen in Psychobiologie war sie eine
qualifiziertere Krankenschwester, Ärztin, Therapeutin und
Freundin und ein besserer Schutzengel als jeder andere von uns.
    Endlich kamen wir aus dem Nebel heraus, und Lilits Insel lag vor
uns, eine große, zerklüftete Warze, die Rosamundes Haut
verunstaltete. Wellen schlugen an das felsige Ufer. Die Morgenluft
roch nach Wasserflora und -fauna. Iggi steuerte uns in eine Bucht,
und wir landeten auf einem Fleckchen Strand.
    Drei Hügel spähten über einen grünen,
üppig wuchernden Dschungel hinweg. Der entfernteste Hügel
enthielt das Tor zum unterirdischen Kontinent, wie uns Rudd
versichert hatte. Also vorwärts. Feindliche Festung in Sicht.
Ich spürte eine plötzliche Ruhe, als ob eine starke
Übelkeit abrupt ihren dicken, drückenden Daumen von meinem
Magen gehoben hätte. Bereite dich darauf vor, deinen Schatz
herauszurücken, Hamadryade! Ich sprang auf den Sand und
stürmte los. Bereite dich darauf

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