Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
und solcher Ekstase drang, zwei wild voneinander abprallende Emotionen, dass die Frau mit einem Satz aufsprang und rannte und ihr Kind an sich zog. In panischer Angst presste sie das Kleine an ihre Brust, und ihre Augen huschten herum, in der verzweifelten Hoffnung, ihr Mann möge plötzlich zurückkehren.
Dann schauderte sie heftig, weil es sie bis in die Knochen erstarren ließ.
Dieser Ruck urtümlicher Leidenschaft.
Sparkys erster Orgasmus.
Psycho
Vancouver, British Columbia, 1982
Dienstag, 2. November, 09:30 Uhr
»Nun, wie war die Lektüre?«, wollte Dr. Ruryk wissen.
»Informativ«, erwiderte DeClercq. »Aber recht schwere Kost.«
Der Psychiater nickte. »Wie wollen wir weiter vorgehen?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern eine Bandaufzeichnung machen. Die würde dann im Gemeinschaftsraum allen zur Verfügung stehen, die sie sich anhören und aus Ihrer Einschätzung Nutzen ziehen möchten. Nichts Formelles, bloß eine allgemeine Diskussion mit freier Assoziation.«
»Das scheint mir vernünftig«, meinte Dr. Ruryk. »Fangen wir an.«
Dr. George Ruryk war ein Mann in fortgeschrittenen Jahren und mit wachsendem Ansehen. DeClercqs Frau Genevieve schätzte ihn sehr und wunderte sich darüber, dass die Polizei sein Wissen in der Vergangenheit so wenig genutzt hatte. Sie hatte ihrem Mann geraten, nicht denselben Fehler zu machen. Deshalb mehr als aus irgendwelchen anderen Gründen – DeClercq hielt große Stücke auf die Meinung seiner Frau – saß der Superintendent jetzt dem Psychiater in seinem Korbsessel gegenüber, während gefiltertes Sonnenlicht in das Gewächshaus fiel und die Rosen besonders lebhaft leuchten ließ. Ruryk trug eine Stahlbrille mit runden Gläsern und einen Knebelbart, der ihn wie Sigmund Freud aussehen ließ. Als DeClercq nach dem Mikrofon griff, dachte er Weshalb haben eigentlich Psychiater immer Bärte? Was haben sie zu verbergen?
Er drückte den Einschaltknopf.
»Dieses Band«, sagte DeClercq und legte das Mikrofon zwischen ihm und seinem Gast auf den Schreibtisch, »betrifft den Headhunter-Fall. Bei mir befindet sich Dr. George Ruryk von der Psychiatrischen Fakultät der Universität von British Columbia. Zweck unserer Besprechung ist es, ein mögliches psychologisches Profil des von uns gesuchten Killers zu diskutieren. Ich möchte Sie jedoch nachdrücklich vor den Gefahren des Tunnelblicks warnen. Das Ergebnis dieser Diskussion wird vielleicht Parallelen zu unserem Fall herausarbeiten, könnte aber ebenso gut auch völlig danebenliegen. Dr. Ruryk?«
»Lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich, was Ihre Warnung angeht, völlig Ihrer Meinung bin. Vor einigen Jahren hat der Mann, den man den ›Boston Strangler‹ genannt hat, Boston in Angst und Schrecken versetzt. Während der Jagd auf ihn wurde einmal eine aus Psychiatern, Psychologen, Sozialarbeitern, Kriminologen und Polizisten zusammengesetzte Expertenrunde einberufen. Diese Runde kam zu dem Ergebnis, dass der gesuchte Mörder ganz ohne Zweifel ein schizoider, unverheirateter, latenter Homosexueller mit gestörten psycho-sexuellen Neigungen und unterdrückten Mutterfantasien sei. Als er schließlich verhaftet wurde, stellte sich heraus, dass Albert DeSalvo ein glücklich verheirateter Mann mit zwei Kindern war. Ich wiederhole also die Mahnung zur Vorsicht.
Dennoch glaube ich, auch nach dieser Feststellung«, fuhr der Psychiater fort, »dass wir hinsichtlich der Denkweise des Headhunters einige mögliche Theorien postulieren können. Und ich glaube auch, dass sich wenigstens eine davon am Ende als richtig erweisen wird. Aber beginnen wir vielleicht mit einer allgemeinen Orientierung.«
Während er sprach, griff der Psychiater in die Tasche seines Tweedjacketts, natürlich mit Lederflecken an den Ellbogen, und zog eine Rauchapparatur heraus, die Sherlock Holmes alle Ehre gemacht hätte, sowie ein Päckchen Tabak. Wenigstens eine Minute lang vollzog der Professor zwischen den Sätzen sein Anzünderitual, und als schließlich große, süßliche blaue Rauchwolken durch den Raum zogen, seufzte der Superintendent innerlich und dachte: Ich wünschte, du würdest an die Pflanzen denken.
»Die Psychiatrie kennt im Grunde drei Haupttypen geistiger Abnormität«, erklärte Ruryk. »Psychose. Neurose. Und Persönlichkeitsstörung.
Von diesen dreien ist der Psychotiker – also jemand, der unter einer Psychose leidet – am stärksten gestört. Der oder die Betreffende würde dem entsprechen, was der Laie als
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