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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ausgelaufen, und das Hemd war naß. Da langte sie sich doch das Kind. In ihr fahles Gesicht, aus zu wenig Strichen gemacht, um richtig das Gesicht einer Frau zu sein, kam noch ein Strich von Verzweiflung zwischen die Brauen dazu; da war es auf einmal vollständig. Sie öffnete ihr Kleid. Das Kind war ein rotes borstiges Bäuerlein mit Falten im kurzen Nacken. Seine Fäuste waren geballt, um das Letzte aus der Erde herauszuquetschen. Seine Kiefer waren vorgeschoben, um den letzten Tropfen zu saugen. Sie fürchtete sich auch vor dem Kind. Sie machte die Brust frei. Zum letztenmal verwandelte sich in ihrem Gesicht die Verzweiflung in einen Ausdruck von Geduld.
    Als das Kind fertig war, starrte sie einen Augenblick vornübergebeugt in die Wiege, einer gewöhnlichen Mutter ähnlich. Schon entstand hinter ihrer flachen Stirn ein Wirbel, eine Unruhe, die juckte. Seit der Geburt tat esihrem Kopf noch weher als vorher, einen Gedanken herauszuzwängen. Endlich war er ganz klar da, und sie seufzte. Sie gehorchte, bückte sich und zog ganz behend ihre Stiefel an. Dann zog sie über ihre Schürze aus gewürfeltem Kattun eine zweite Schürze aus Wachstuch. Am Morgen vor dem Weggehen hatte der Mann gesagt: »Was kommste immer noch nich raus auf den Acker?« Da hatte sie gesagt: »Ich muß mal zuerst die Wäsche rund kriegen.«
    Sie schüttelte also ihre Röcke und Schürzen auf und band ihr Haar fest in das Tuch ein. Sie sah ebenso aus wie die beiden Nachbarsfrauen, die gerade vorübergingen, als sie unter das Vordach trat, und: »Wie geht’s? Wie steht’s?« riefen. Unter dem Vordach neben der Tür stand die Wäsche im Kübel eingeweicht. Sie griff einen Besenstiel und drückte die überhängenden Stücke in die Brühe. Einen Augenblick starrte sie in die Bütte, wie sie vorher in die Wiege gestarrt hatte. Schon zog es ihr aus dem Leib in die Knie und wehrte sich, gequält zu werden. Zuerst wollte sie ein paar Stücke in den leeren Eimer wringen. Aber dann besann sie sich anders und zerrte die ganze Bütte unter dem Vordach heraus, um das Haus herum, bis zur Pumpe. Von dem Gezerre klopfte ihr Herz. Sie wartete und fürchtete sich vor ihrem Herzen, wie sie sich vor ihrem Kind gefürchtet hatte. Sie hing sich an den Schwengel und ließ die einmontierte Tonne vollaufen. Sie sah geradeaus, dorthin, wo sie an gewöhnlichen Wäschetagen die Leine zu spannen pflegte, zwischen Haus und Apfelbaum. Einige Sekunden lang erfüllte sich der leere Zwischenraum mit einem Trugbild gewaschener Wäsche, mit einem Haufen weißer, blauer und rotgewürfelter Fahnen, in einem glücklichen Winde flatternd, rein und heiter. Nicht ihr schwacher, einschlafender Verstand, sondern ihr Herz drohte ihr, daß diese Wäsche niemals flattern sollte, daß das, was sie da vorhatte, eine Arbeit von der Sorte war, mit der der Mensch nie fertig wird. Sie bückte sich trotzdem und stieß die oberen Stücke in dasfrische Wasser, zwei große Hemden ihres Mannes. Sie wollte sich danach aufrichten; sie merkte gut, daß es nicht reichte zum Aufrichten und Wiederbücken, so stützte sie sich nur auf den Rand der Tonne. Unter ihrem dicken blauen Kleid war ihr Körper schon in eine beißende Lauge gebadet, und diese Lauge war eine teure Flüssigkeit aus Milch und Schweiß und Blut.
    Sie warf einen schnellen, beinahe listigen Blick in die Richtung zwischen Haus und Apfelbaum, als hielte sich dort jemand versteckt, um im letzten Augenblick hervorzutreten. Niemand trat vor; so hatte sie als Kind Versteck mit anderen Kindern spielen wollen; aber die hatten sich gar nicht versteckt, sondern waren, um sie zu verspotten, einfach ganz fortgegangen. Da machte sie sich von neuem an die Wäsche, Kinderzeug bis zum Samstag. Das alles war nur aus Unordnung obendrauf geworfen. Denn was jetzt kam, das war die richtige Wäsche, sinnlose Stücke mit roten und schwarzen Flecken von der Geburt her. Ihre Mutter war lahm, Schwestern hatte sie keine, Nachbarinnen halfen nicht, Geld, das er wohl auch gar nicht hatte, gab der Mann dafür nicht her. So mußte sie diese Wäschestücke selbst waschen. Sie langte sich eins und rieb. Sie rieb mit der Bürste und auf dem Waschbrett, auf dem rauhen Rand der Tonne und auf dem Stein neben der Tonne. Aber selbst in diesem ersten Stück wurden die Flecke nicht blasser; sie wurden nicht bloß nicht blasser, auch die Oberfläche des klaren Wassers, auch ihre Hände und Arme und die Mauer und die Luft zwischen Haus und Apfelbaum bedeckte sich mit roten und

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