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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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in den Wald hinein, sie kam ganz flink voran; denn wenn nichts mehr zurückgehalten zu werden braucht und alles verausgabt, dann ist immer noch ein Rest von Kraft da. Sie kam an eine Rodung. Zwischen den Baumstümpfen war der Boden mit Heidekraut bedeckt, das die Wärme gut hielt. Sie setzte sich hin. Auch im Sitzen konnte sie über die niedrigen Buchen weg ins Tal sehen. Tiefe grüne Stille erfüllte dieses Tal bis zu ihren Füßen, bis zum gewellten Rand der gegenüberliegenden, ebenfalls waldigen Hügel, die schon da und dort braun gestreift waren. Helles, aber nicht grelles Mittagslicht verwebte und verflimmerte alles. Über dem Fluß verdichtete sich die Helligkeit zu einem kräftigen Glanz, in dem die kleinen Häuser am Ufer glücklich aussahen, und die beiden Boote, die darauf trieben. Die Frau sah auf den Fluß hinunter. Sie stand auf und ging ein paar Schritte weiter. Sie kam an den Bach, der an dieser Stelle durch eine Baumröhre geleitet war. Sie setzte sich zum zweitenmal. Sie konnte auch von hier aus den Fluß sehen, sogar etwas näher. Sie sah auch ein Stück des Dorfes. Dort hinter irgendeinem Haus stand der Waschtrog, unter irgendeinem Dach schrie das Kind. So viel und so wenig hatte das Kind mit ihrer Brust zu tun, wie der Fluß mit dem Strich zwischen ihren Brauen. Sie rupfte mit der Hand etwas Heidekraut, während sie in ihrem trüben Gedächtnis nach einem Halt suchte, wie man im Sumpf nach festen Brocken sucht. Sie fand gar nichts. Auf einmal faßte ihre Faust kräftig einen Büschel Heidekraut, dann schließlich fand auch sie etwas. Ganz verschüttet, zehnjährig, aber doch etwas: helle Punkte in den ruhigen grauen Augen des fremden Knechtes, und sie hatte lachen müssen und mit der Hand danach greifen, und er hatte sie unter die Achsel gegriffen, und auch die gute Dunkelheit zwischen zwei Gesichtern hatte die hellen Punkte in seinenAugen nicht ausgelöscht. Einzige jemals auf Erden für sie angesteckte Lichter. Sie richtete sich ein wenig auf. Sie wartete hockend in der mit hellen Punkten besäten Luft, bis alles verblaßt war. Sie spürte wieder ihren jetzigen Körper mit allen seinen Schrecken. Wie konnte sie überhaupt noch bis zum Fluß hinunterkommen? Auf einmal kam ihr ein Einfall. Sie dachte nach. Neben ihr durch die Baumröhre lief das Wasser, flink, wenn auch ziemlich flach. Sie steckte ihre Hand hinein, haarscharfe Eisschneide. Sie zuckte, wischte die Hand schnell an der Schürze ab. Sie seufzte und zog ihre Schuhe aus, denn die dauerten sie. Sie zog ihre Schürze aus Wachstuch aus, und auch die aus Kattun, denn die dauerten sie auch, und sie glaubte, das Kleid sei mehr wert als der Leib. Sie schlug ihre Röcke nach innen, klemmte sie mit den Knien zusammen und rutschte in die Baumröhre. Eine Sekunde lang staute sich das Wasser auf ihrem Scheitel. Dann floß es spritzig, schon gewöhnt, seine neue Bahn über ihr Gesicht, ihre Brust. Denn sie drückte sich fest längelang ein. Um bis zum Fluß hinunterzugehen, hätte sie eine halbe Stunde gebraucht auf ihren unbrauchbaren Füßen. Um hier zu sterben, brauchte sie nur ein wenig Geduld, und das war es nicht, was ihr fehlte.
    Als der Bauer nachmittags heimkam, und das Kind war hart und blaugeschrien, und keine Frau da, als er ein paar Lumpen spitz zusammengedreht und in einen Rest aus Milch und Gerstenbrühe im Futtereimer getaucht, und als sich das Kind daran vollgelutscht hatte, weil es ein Kind war, das leben wollte, einerlei wovon, und aus dem Schreikrampf in den Schlaf gefallen war, satt und locker, als die größeren Kinder nach Essen graunsten und sich fürchteten, und die Frau war immer noch nicht da, da spürte der Bauer, daß sich sein jahrelanger, geheimer Wunsch erfüllte. Er ahnte aber auch, daß er sich etwas über alle Maßen Furchtbares gewünscht hatte. Jetzt, mittenin der vollen Erfüllung, erschien es ihm unfaßbar, daß sich ein Mensch etwas so Schreckliches wünschen kann, und daß er selbst dieser Mensch sein sollte. Weil es eben dies ist, was man Reue nennt, glaubte er gar nicht mehr, daß so ein furchtbarer Wunsch je in ihm entstanden war, und er konnte dadurch die Erfüllung mit unbeschwertem Herzen und ruhigem Verstand hinnehmen, wie ein Ereignis, das von außen über einen kommt, und das man so oder so zum Leben benutzen muß.
    Am späten Nachmittag war ein Regenfall gekommen. Da war die Frau ein wenig bergab getrieben worden, dem Flusse näher. Der die Schuhe und Schürzen fand, fürchtete sich, herumzusuchen,

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