Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
schwarzen Flecken. Sie stellte sich zum zweitenmal auf. Sie zog die Brauen zusammen. Wieder in die Richtung zwischen Haus und Apfelbaum warf sie einen finsteren Blick, als fordere sie Gott auf, weil es höchste Zeit sei einzuschreiten. Sie wartete ein wenig in die niedrigen Baumkronen hinein, aus der die grünen, glasigen Äpfel zurückglotzten. Ein Gedanke kam ihr, ins Haus zurückzukehren undsich einfach wieder aufs Bett zu legen. Ihr Herz wußte schon, daß das keineswegs einfach war, und ihre Arbeit hoffnungslos, aber unentrinnbar. Währenddem war furchtbar viel oder furchtbar wenig Zeit vergangen, in wirklicher Zeit ungefähr drei Stunden.
Vor dem Haus gab es plötzlich Wagengerassel und Rufe: »Susann, Susann!« Sie erschrak. Sie zuckte mit den Brauen und Schultern und wurde ganz fahl. Eine Menge kam ihr halb in den Sinn, so daß sie wirklich einige Minuten lang durch viele kleine Ängste vor der ganz großen Angst bewahrt war. Ihr Mann war heute zuerst ins Holz gefahren und wollte auf dem Rückweg etwas Warmes aufs Feld mitnehmen. Sie lief in die Küche und wühlte im schmutzigen Geschirr nach einem Kartoffelstampfer. Ihr Mann stand schon in der Tür, schnipste mit dem Finger und klapperte mit dem Absatz. Heute hatte alles sein letztes Maß erreicht, aber merkwürdigerweise war ihre Angst vor dem Bauern auf einmal geringer. Der war auch gleich wieder beim Wagen und schrie: »Susann, kommste abladen, kommste, kommste abladen!« Sie saß auf einem Hocker hinter dem Herd, klemmte den Kartoffeltopf zwischen die Knie und stampfte. Draußen schrie der Bauer ihren Namen, denn er wußte, daß er sie mit seiner Stimme heranholen konnte, woher immer, solange sie noch Füße hatte. Sie wußte, daß sie nicht mehr konnte, und sie wußte, daß sie kommen mußte, da stand sie auf und kam. Ihre Brust war jetzt wieder voll. Vielleicht, wenn sie das Kind jetzt gleich noch einen einzigen Zug tun ließ, kam für diesen Mittag noch einmal alles in Ordnung. Sie stand jetzt schon beim Wagen, und der Mann rief herunter: »So faß doch. Is ja gleich gemacht.« Die Frau stand neben der Kuh. Sie legte eine Hand auf die Deichsel; unten trächtige, oben abgeschabte Kuh, die Kuh des Mannes, der kein Pferd hatte. Die Frau trat zurück. Der Bauer schmiß seine Klötze. Er hatte es eilig, aufs Feld zu kommen, ihm war es ein Dreck, diese Arbeitmit dem Holz. Für die Frau war es eine von solchen Arbeiten, die alles auslöschen. Doch ihre Arme schwangen, die Klötze fangend, weiter wie die Flügel einer morschen, eingerissenen Mühle. Der zweitjüngste Sohn, rot und borstig, gleichfalls dem Vater nachgeschlagen, bis auf die Fältchen im Nacken, bis auf die kleinen runden Schweißperlchen in den Fältchen, schleppte die Klötze unter das Vordach, wo die Bütte gestanden hatte.
Dann zogen sie ab, die Kuh mit dem Wagen, der Mann und das Kind. Der Mann schnipste noch einmal mit dem Finger, weil ihm etwas einfiel, drehte den Kopf und rief. Die Frau versuchte zu begreifen, was von ihr verlangt wurde: auf den Holzplatz gehen, wo etwas liegengeblieben war, oder wo jemand wartete, dem etwas auszurichten war. In der Stube schrie jetzt deutlich das Kind, wütend und beharrlich. Die Kraft, die ihre Brust sofort noch heftiger spannte, kam doch nicht aus ihr, sie war ja todesschwach, die sauste nur durch sie durch. Der Holzplatz war nicht weit, eine Viertelstunde höchstens. In ihrem Kopf, der sonst zu eng war für einen kleinen Gedanken, entstanden mühelos zwei klare Gedankenreihen: auf den Holzplatz gehen und zurück und das Kind stillen und die Wäsche waschen und das Essen kochen und melken und die Kinder legen und das Vieh füttern und abspülen und wieder stillen oder: fortlaufen und nie mehr zurückkehren.
Sie glaubte wohl eine Weile, sie könnte beides tun, wie sie beides denken konnte. Jedenfalls lief sie ins Haus zurück. Sie schüttelte ihren Rock auf, band ihr Kopftuch straff. Wie sie durch die Dorfgasse ging, rief es drei-, viermal durch die Türen und über die Zäune: »Wie geht’s?« Und sie erwiderte ruhig: »So« und: »Danke«. Zum erstenmal war die Gasse ohne Schrecken, seit dem Tag, da sie allein entlang gemußt hatte, und sie war dick geworden, und man hatte es gemerkt. Diesmal war es, als stünde sie selber still, und Häuser und Scheunen und Zäune müßten an ihr vorbeilaufen. Dann bog sie bei MerzensHaus auf den Weg ab, der den Berg hinaufführte. Inzwischen hatte sie jeden Gedanken an den Holzplatz vergessen. Sie lief geradezu
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