Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
Lebendigen.
Sechstes Kapitel
I
Der Bauer Schüchlin wartete bei der Milchsammelstelle, bis Lüdeke fertig war, der ihn im Milchwagen mit in die Stadt nehmen wollte. Im Innern seiner guten schwarzen Kleider, seines festen Körpers fürchtete er sich sehr. Der steife Hut machte um seinen Kopf einen Reifen, in dem die Gedanken knirschten. Er drehte den Leuten den Rücken, aber er spürte ihre bei seinem Anblick erschreckten, fast verstörten Blicke. Er war ein wenig erleichtert, als er oben auf der Bank neben dem Lüdeke saß. Lüdeke, von Kopf bis Fuß in Leder, war die rechte Hand von Straub, Milch-, Butter-, Eierhandlung in Billingen am Markt. Er hatte von morgens bis abends eine Unmenge von Sachen zu erledigen, die alle klappten, weil sie durch ihn erledigt wurden. Verheiratet war er nicht, denn er hatte immer mit so viel Frauen und Mädchen zu tun, daß sie ihm in ihrer gestreiften und karierten Sauberkeit zum Hals heraushingen und seine Ohren von ihrem schüchternen und bissigen Gefeilsche ohnedies voll waren. Jetzt auf der Fahrt zwischen Stadt und Land, in der grauen Staubwolke, die sie alle beide einhüllte, packte Lüdeke eine Gier, die in ihm steckte und ihn allerlei praktische Dinge vorteilhaft betreiben ließ, aus diesem kleinen Bauern mit dem unheimlichen Reiseziel ein Schuldbekenntnis herauszuzwingen. Sie kamen an die kurze schattige Strecke im Buchenwald. Da fragte er: »Nu sag mal einer, wie is denn das passiert mit der Frau?«
Der Bauer erwiderte ruhig: »Wie soll’s passiert sein? Die Milch is ihr in den Kopf gestiegen.«
Sie kamen aus dem Wald heraus. Kühles, flaches Sonnenlicht über kahlen Feldern. Lüdeke dachte, daß er wohl mehr erreichte, wenn er dem Bauer ein richtiges, deutliches Bild vor Augen stellte, darum fragte er: »Wo habt ihr sie denn gefunden?« Der Bauer erwiderte kurz: »Weiß ich nich, bin nich dabeigewesen.«
Sie fuhren jetzt das Ufer entlang, ein paar Häuser standen so nahe am Wasser, daß die Männer mit ihren Angeln über der Hofmauer hockten. Auf dem Fluß trieb unmerklich ein kleines Floß mit einer Hütte, einem Hund und einem Mann, der nackt bis zum Gürtel auf dem Rücken lag. Dem Bauer war der Fluß fremd, er liebte ihn nicht. Überdies lagen seine Äcker hügelaufwärts, er kam das ganze Jahr nicht ans Ufer. Er warf einen mißtrauischen Blick auf die Mauer, auf das Floß, auf das flimmrige Wasser. Die Beklommenheit war in ihm wie ein dicker, unverdauter Kloß. Der Wagen rüttelte ihn gehörig durch, die Stadt war nah. Hab ich sie geschunden? dachte er. Freilich hab ich sie geschunden, und ob ich sie geschunden habe. Was zwickste mich, und was zwackste mich, fuhr er fort gegen einen unsichtbaren, unermeßlich zähen und unermeßlich gierigen Lüdeke. Wie hätt ich’s machen sollen ohne Schinden. Hat ihr der Alte das Gut bei lebendigem Leib gelassen? Gespitzt hab ich auf das Gut, aber nu gib mal genau acht, du, wenn ich auch weniger drauf gespitzt hätte, hätt ich ihr weniger Schinderei machen können? Ein bißchen weniger höchstens. Na also. Es fiel ihm etwas ein, was beim ersten Kind geschehen war. Sie war damals aufgestanden und mit hinausgegangen, Kartoffeln ausmachen. Da war sie noch schwach gewesen und aus den Knien vornübergefallen. Alle Kartoffeln waren ihr weggekullert. Ihr Gesicht war ganz voll Erde gewesen. Du erinnerst dich vielleicht nicht mehr, sagte der Bauer zu seinem bohrigen Lüdeke, ich hab nichts können verfaulen lassen. Dann sagte er noch: Laß mich in Frieden. Lüdeke merkte wohl, daß er gegen ein so zähes Schweigen nicht ankam.
Sie fuhren über die Eisenbrücke, über die asphaltierte Straße, durch das Stadttor. Lüdeke hielt vor Straub, sie verabschiedeten sich. Lüdeke verschränkte die Arme auf der Brust und starrte dem Schüchlin nach. Schüchlin zog die Schultern ein. Der Reifen um seine Stirn drückte, die Stadt lag um seinen Kopf wie ein eiserner Hut. Er war viel eher auf dem Amt, als er gefürchtet hatte. Er wurde an der Tür gefragt, wo er hinwollte, da knöpfte er seine Brust auf und holte seine Vorladung. Er mußte einen langen Gang hinunter. Er krümmte sich vor der Tür, auf der die Zahl Siebenundzwanzig stand. Aber seine Faust war gesund, und sein Klopfen dröhnte. Das Zimmer war kleiner, als er es sich vorgestellt hatte, mit Regalen und einem Tisch. Hinter dem Tisch saß ein verkrumpeltes, bezwickertes Männchen, von dem man nur die Arme sah, die Schüchlin ungemein lang vorkamen. Hinter dem Rücken des Männchens war
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