Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
Erwerbslose aus dem Sandbruch. Die beiden Burschen mit ihrer Viehkoppel kamen an einer Gruppe Burschen vorbei in einer Torfahrt. Einer von den Bauernjungens gehörte zu Zillichs Sturm, einer der Burschen im Tor war am Sonntag auf Rendels Autogesessen. Er erkannte den Ankommenden nicht, sondern betrachtete ihn gleichmütig. Der aber erkannte ihn, weil der Bauer den Städter besser wiedererkennt. Er streifte an ihm vorbei und lächelte und sagte: »Na, wie geht’s eurem Ibst?« Da packte ihn der andere an der Schulter, entgegnete ruhig: »So wie es dir jetzt geht«, und schlug ihn nieder.
Es gab einen Auflauf in der morgendlichen Gasse bei dem unruhigen, an den Stricken zerrenden Vieh. Als der zweite Bauernbursche gegen Abend nach Botzenbach zurückkam, wurde er gefragt, ob der, der geschlagen hätte, kahl gewesen sei. Er erwiderte, er sei kahl gewesen.
Am Abend, ziemlich spät, fuhr das Lastauto des Brauereifahrers über die Landstraße nach der Stadt zu. Zillich saß neben dem Fahrer. Mit ihm fuhren Kunkel, sein Bruder, Kößlin – ungefähr zwölf andere.
Als sie zum Sandbruch kamen, sagten sie: »Jetzt säuft der Rendel sein Glas aus.« Als sie über die Brücke kamen, sagten sie: »Jetzt ist der Rendel zu seiner Frau gegangen.« Als sie in die Anlagen fuhren, sagten sie: »Jetzt knöpft der Rendel seine Hose auf.«
Zillich drehte sich nicht um und lachte nicht. Als kurz vor der Stadt ein Reifen platzte und ausgewechselt werden mußte, atmete er schwer. Kunkel verhielt sich still, es war ihm unbehaglich. Er hätte sich diese Fahrt gern erspart. Er fuhr seinen Bruder an, der blaß und frostig aussah und ihn unverwandt anstarrte. Kößlin war wie immer, ruhig und guter Dinge. In den neuen Häusern gab es noch Lichter, reiche Leute, Beamte, Kaufleute, Juden, Spätaufbleiber, Spätaufsteher. Sie schrien: »Juda verrecke, verrecke, verrecke!« Zillich wachte aus seinem Brüten auf, drehte sich um und schrie allein: »Verrecke!« Dann starrte er wieder gradeaus. Sie fuhren durch das Stadttor, sie umkreisten den Marktplatz. Sie fuhren gegen den Wall in die obere Eichelgasse. In der Kneipe, die sie suchten, war helles Licht und Radio. Sie hielten und sprangen ab. Im gleichen Augenblick schnurrten drin die Lädenherunter. Sie warfen sich alle zusammen gegen die Tür. Eine ziemlich gleichwertige Kraft drückte von innen. Sie drückten von innen und außen, Gesicht gegen Gesicht, mit offenen Zähnen, Brust gegen Brust, durch ein Brett getrennt. Plötzlich lief der Fahrer zum Auto, holte einen eisernen Bolzen und schlug mit einem wuchtigen Hieb die Füllung ein und eines Mannes dagegengestemmte Stirn. Im nächsten Augenblick krümmten sich alle auf der Schwelle stöhnend ineinander, der sterbende Mann zuunterst. Es war nicht abzusehen, was diesen Kampf abschließen könnte. Auf einmal rief jemand: »Rendel!« Wo war er? Die Gesichter bogen sich zurück. Unter den Lebenden war er nicht. Und der Tote – denn der Mann war inzwischen auf der Schwelle gestorben – war er auch nicht. Zillich stürzte fort mit den kurzen, dumpfen Sätzen eines Stiers, der die Gasse zittern macht. Die andern stürzten nach, drei Häuser weiter. Auf die enge, gewundene Stiege fielen Lichter aus den geöffneten Türen. Bestürzte Menschen zeigten sich, Frauen, Kinder, zwei alte Männer im Unterzeug. Zillich blieb plötzlich auf dem untersten Treppenabsatz stehen. Er schrie: »Rendel!«
Eine kurze, breite Frau kam auf den Treppenabsatz – ihre Strickjacke über dem Hemd zusammenziehend, einen kurzen, buschigen Zopf über der Schulter. Sie schrie zurück: »Ich bin die Frau. Was wollt ihr?« Gleich darauf kam Rendel heraus, über den nackten Schultern das Handtuch, mit dem er sich grade abgerieben hatte. Er fragte ebenso: »Was wollt ihr?« Neben der Frau war er noch kleiner und magerer. Zillich blieb noch immer stehen, erstarrt, in einer Bewegung des Zuspringens, sein Kopf war gebeugt, Rendel sah von oben seinen Schädel weiß schimmern bis zu den Brauen. Es fügte sich nun so, daß Kunkel zuoberst stand, er war es, der antworten mußte: »Du hast unseren Mann erschlagen!« Kunkel hatte dem Fahrer den eisernen Bolzen aus der Hand genommen, er war noch nicht daran gewöhnt, daß er bewaffnet war. Rendel sagte: »Ich?Nein.« Eine Sekunde lang flog es Rendel durch den Kopf, ob es richtig war, daß er nein gesagt hatte, nützlich für die Seinen. Eine Sekunde lang flog es Kunkel durch den Kopf, ob es richtig sei, loszuschlagen, ob es nützlich sei.
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