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Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932

Titel: Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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blieb hinter der Tür stehen, bis das schrille, fast wilde Lachen, mit dem man das Mädchen empfing, vorüber war.
    Es war schon dunkel geworden. Wie er in den Gartenzurückging, stand der Lehrer am Fenster und sah unbemerkt ins Wohnzimmer. Der junge Merz runzelte die Stirn und ging ohne guten Abend vorüber. Rifke betrachtete zufrieden, ja selbstzufrieden die runden Gesichter, die vielen kleinen Brüste, die alle über seinen Bänken, bei seinem Einmaleins gewachsen waren.
IV
    Der alte Merz hatte den Naphtel auf neun Uhr morgens ins Café Krall bestellt. Der saß auch pünktlich dort. Er zweifelte aber, daß der alte Merz seine Verabredung einhielt. Seit vielen Tagen und Nächten schnurrten die Naziautos rund durch die Stadt. Die starken und schwachen Hiebe ihres ewigen Verrecke! hatten seinen Kopf krank gemacht und sein altes Herz müde. Er wohnte in der Eppichmauergasse dicht bei der Kirche, wo er geboren war und wo auch sein Vater geboren war; denn sein Großvater hatte im Hof eine Geflügelhandlung gehabt und dessen Vater ein Kleiderverleihgeschäft. Er selbst hatte bis vor einigen Jahren Viehhandel getrieben, er hatte dann ein Nierenleiden bekommen und alles seinem Schwiegersohn überlassen müssen. Er machte nur noch manchmal ein Geschäft mit seinen alten Kunden, kleine Geschäfte, die keine langen Überlandfahrten und Herumstehen im Regen erforderten, deren Ertrag ihn übermäßig erfreute, als ob er damit dem Tod ein paar Wochen abkaufte, den er seit seiner Krankheit sehr fürchtete. Er trank unglücklich den Kaffee, den er sicher nutzlos bestellt hatte. Das fortwährende erbitterte Geschrei jenseits des Marktes würde den alten Merz abhalten, mit ihm abzuschließen, er würde mittags verzweifelt heimkommen, seine Frau würde in der Küchentür fragen: Wieder nichts? Er würde antworten: Gar nicht gekommen.
    Der alte Naphtel hatte sich in das Billardzimmer hinterden großen Kaffeeraum gesetzt. Er sah bald auf die Straße unter dem Fenster, bald durch die doppelte Tür auf die Marmortischchen im vordern Raum auf den Marktplatz. Trotz der frühen Stunde gab es schon vorn ein gutes Dutzend Gäste, Bauern und Händler, die Schnaps und Kaffee tranken. Vier junge Nazis mit roten, munteren Gesichtern saßen dicht vor dem großen Glasfenster und aßen Pfannkuchen. Mißtrauisch, voller Erstaunen beobachtete Naphtel ihre gesunden, kindlichen Bisse. Der Markt begann sich langsam mit Menschen und Tieren zu füllen. Vor zwei Stunden hatte sein Schwiegersohn Heinrich Elster aus der Wohnung auf den Markt gehen wollen. Er war schon vor der Haustür von ein paar Burschen angerempelt worden, die nachts Flugblätter verteilt hatten. Unter den gewöhnlichen Flugblättern auf die Wahlen, die Papen-Regierung und die Forderungen der Nazis gab es ein kleines gelbes, ausdrücklich auf den heutigen Tag geschrieben. Darin wurde der Bauer, der sein Vieh in die Stadt trieb, vor den Juden gewarnt. Diese Flugblätter erkannte Naphtel, aufgeweicht, zertreten oder zerknüllt, wo sie immer auf dem Pflaster herumlagen. Mit Hoi und Ho, mit dem saftigen Schnalzen lockerer Peitschenhiebe strömte es durch die Gassen in braunen schlingernden Tierrücken auf den Marktplatz. Der alte Naphtel, der durch das niedrige Fenster nach dem alten Merz ausspähte, blickte in glänzende, stumpfe Tieraugen. Er konnte das warme Schnuppern in seinem Gesicht spüren. Zu beiden Seiten der Gasse erfüllten sich die Häuser mit einem Geruch von Milch und frischem Kot. Der schleifige Trott der alten Tiere, der hupplige der Kälber klapperte tief in die Stuben. Schon war der Marktplatz braun von glänzenden, schräg ineinandergeschobenen Hügelchen, aus denen nur Laternen und Bauernhüte herausragten. Der alte Naphtel spürte nichts von dem warmen, beruhigenden, sich wie eine mächtige Haube um die kleine Stadt schmiegenden Geruch eines ungeheuren Stalles. (Vielleichtgab es irgendwo solche mächtigen, vollen und fetten Ställe wie dieser Platz. Hierzulande enthielt er den Gewinn und die Angst zahlloser Bauernfamilien.) Der alte Naphtel merkte nur, daß der Fleck leer war, auf dem sein Schwiegersohn zu stehen pflegte. Die Händler nannten ihn »Die Insel«, in Wirklichkeit war er nur ein asphaltiertes Viereck um die Laterne.
    Auf einmal schrak der Naphtel zusammen. Elster kam aus dem Laden in das Billardzimmer. Er trug wie immer bei jedem Wetter einen hellen, fleckigen Gummimantel. »’n Morgen, Vater.« Naphtel sagte: »Biste doch gekommen?« Elster erwiderte:

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