Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
Bis zu diesem Augenblick hatte ihn eine Macht geleitet und gedeckt. Aber er war im Zweifel, ob sie auch das noch deckte, vielleicht ja, vielleicht nein.
Diese Pause war es, die Rendel benutzte, mit ungeheurem Kraftaufwand seine Stimme senkend: »Ist das die Antwort auf das freie Geleit, Zillich?« Jetzt war Zillich in einem die ganze Stiege erschütternden Sprung auf der obersten Treppenstufe. Im selben Augenblick rief es hinter der Haustür auf der Gasse: »Polizei!«
Es wurde ganz still. Die Einwohner im Nachtzeug, die Burschen in Uniform blieben auf der Stiege gegeneinander wie in einem Käfig. Man hörte jemand die beiden schweren Hausriegel von innen zuschieben.
Rendel benutzte auch diese zweite Stockung, er redete schnell, schnell, noch leiser: »Bist du zu mir gekommen, brauch ich nicht zu dir zu kommen. Auf zwei Fragen hast du mir mit ›Richtig!‹ geantwortet, letzten Sonntag im Feld. Jetzt frag ich noch mal: Vor zwei Jahren, da sind wir mal von Beuren nach der Mühle gegangen, du und ich. Damals hast du erzählt: ›Ich muß auf Taglohn zum Enders, was das ein Schinder ist‹, weißt du’s noch, Zillich?« Zillich legte, während Rendel sprach, den Kopf von der Brust in den Nacken. Das dauerte nur sekundenlang. Für die Leute auf der Stiege war es ein Wunder, daß Zillich nichts als dies tat.
Aber als Rendel jetzt Zillichs Gesicht unter sich sah, riß es ihn, er schrie laut: »Jetzt ist der Enders vielleicht ein Gruppenführer, Zillich, Zillich, und du bist ’n Sturmführer, aber du läßt dir ja Rotz ums Maul schmieren. Bist doch ’n Landprolet, bist, waste bleibst. Zieh nur gestiefelt und gespornt ins Dritte Reich – – – «
Zillich sprang zu, auf einmal kehrte alles zurück, dahin,woraus es gekommen war, ins Blut, und nichts galt mehr als Kraft; Rendel kam wieder hoch; er kam zugleich über Zillichs Brust, Gesicht und Nacken wie zehn Rendels. Einer von Zillichs Leuten stach, Rendel fiel ab, riß sich zusammen, lief in seine Wohnung, alle liefen nach, aber Rendel sprang sofort aus dem Fenster, er kannte den Weg über die Dächer, er war nicht stark, aber flink. Diese Burschen aus dem Bauernsturm waren stark, aber nicht flink genug. Auf dem Fensterbrett war von Rendel Blut geblieben, gewiß auch auf seinem Weg über das Dach. Als wären sie in Brand geraten, drehte Rendels Frau alles Bettzeug um die Kinder. Rund um sie herum wurden Gläser und Möbel zerschlagen. Gottlieb Kunkel zerrte einen von Rendels Knaben am Arm. Auf einmal dachte er: Warum? Seine Wildheit war schon verbraucht, er sah sich elend um. In dieser fremden Stube war ein Geruch, anders als daheim, aber Bett und Stuhl und Schrank waren ähnlich, nur zerschlagen. Im Flur war ein Handgemenge entstanden. Er blieb in der Tür stehen, in seinem Knabengesicht einen unjungen Ausdruck von Erbitterung und Argwohn, der es zeichnete, sobald er seinen Bruder beobachtete. Auf der Gasse, dicht vor dem Haus, pfiffen Polizeipfeifen. Die Riegel wurden zurückgeschoben. Zillich rief seine Leute zusammen, sie wurden der Reihe nach aufgeschrieben. Alle schüttelten sich und lachten. Die Aufgeschriebenen kletterten ordentlich der Reihe nach auf das Auto.
Rendel hatte sich inzwischen in Wolfs Werkstatt versteckt. Am Morgen hieß es, er hätte die Stadt verlassen. Er wurde aber bei Wolf gepflegt und leitete von dort die Wahlarbeit. Obwohl die Stadt klein war, hielt er sich auch weiterhin und wurde erst kürzlich erschlagen.
III
»Ist das wahr«, sagte der junge Merz, »was mein Vater sagt, daß du alle Nacht flennst?« Sophie drehte ihr Gesicht weg. Der alte Merz hatte den Konrad Bastian die ganze Woche über gezwickt wegen der Mitgift, aber Konrad Bastian bestand darauf, daß Sophie nichts anderes bekam als die Aussteuer, die freilich ungewöhnlich stattlich war, zusammengekauft im Inflationsjahr dreiundzwanzig, für die damals Siebenjährige. Er sagte sogar, daß es ihm nicht darum zu tun sei, die junge Tochter in diesem Jahr zu verheiraten. Er merkte genau, daß der junge Merz nicht lockerließ, so wagte er es, den Alten zurückzuzwicken.
»Warum flennst du? Red! Willste mich ansehen?« Er packte ihren Kopf mit beiden Händen und drehte ihn gewaltsam. Sophie sah ihn erschrocken an. Sie sagte weinend: »Weil wir heiraten.« Sie war seit letzten Sonntag noch magerer, ihr Gesicht war weiß geblieben. Sie trug dasselbe Kleid. Das Gürtelband war zerknittert, nicht aufgebügelt. »Ich werd dich nicht fressen.« Er legte den Arm um sie, griff unter den
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