Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
»Nee, ich guck mir’s aus der Entfernung an.«
»Glaubste nich, daß du doch was machen kannst?«
»Vor den Wahlen, nee. Ich hab keine Lust.« Er bestellte Kaffee, setzte sich aber nicht, sondern trat in die innere Tür. Er steckte sich eine Zigarette an. Er war ein gesunder, dicker Mann. Sein fettes, dichtes Haar war gescheitelt, seinem frischen Gesicht war keine Erregung anzusehen. Seine braunen, glänzenden Augen blickten stumpf auf denselben Fleck wie vorhin sein Schwiegervater. Ihm war zumute, alles sei in Ordnung, wenn er nur dorthin geleitet würde. Vielleicht gingen alle Geschäfte ihren Gang weiter, wenn er nur dort stand. Er dachte hin und her, dann dachte er: Nee, lieber nicht. Er wollte sich grade setzen, als ihm von draußen über die Tische zugerufen wurde: »He, Elster!« Es war ein kleiner, etwas verwachsener Händler, ebenfalls im Gummimantel. »Wo bleibste?«
Elster zuckte mit der Schulter und deutete mit dem Daumen auf die Pfannkuchen essenden Jungens. Der andere zuckte gleichfalls die Schultern, schüttelte den Kopf und ging weg. Nach einer Weile kam er wieder mit zwei kleinen, einander ähnelnden Bauern, offenbar Vater und Sohn. »Die wollen was!« Die Bauern sagten durcheinander: »Ho, wo bleiben Sie? Ja, wir warten doch! Ja, mal los doch!« Elster sagte: »Fällt mir nich im Traum ein.« Anden Tischen horchten sie auf. »Kuckt mal den an, fi, fi, fi.« – »Hat Fett in den Hosen.« Elster rief, zum zweitenmal: »Ich denk nich im Traum dran.« Die beiden Bauern sahen sich verdutzt an, dann gingen sie weg. Der alte Naphtel rief jetzt: »Setz dich doch!« Aber Elster blieb stehen und sah den Bauern nach. Dann kamen alle zurück, ein alter, langer Bauer war jetzt bei ihnen. »Der wartet auch.« Der alte Bauer war dem Algeier ähnlich, auch seine Angelegenheiten standen ähnlich. Er hieß Müller Hartberg. Er hatte sich auf heute mit dem Elster verabredet. Er war mit seinen drei besten Kühen auf den Markt gekommen, von dem Verkauf hing es ab, ob er seine Schuld zurückbezahlen konnte. Selbst wenn er es konnte, war eine Pfändung nur aufgeschoben, denn er konnte unmöglich seinen Hausstand ebenso weiterführen wie mit fünf Kühen. Er war verstört. Noch bevor er sich wundgeredet hatte, war sein Hals trocken. So bös der Verkauf war, er wünschte sich sofort in das Geschäft hineinzustürzen, das vielleicht einen halben Tag dauerte. Müller Hartberg hatte das Geld, um eine Scheune zu bauen, von seinem Schwager Mücke in Beuren geliehen, dem Mann seiner Schwester, seinem einzigen Freund vor und nach der Hochzeit. Mücke war aber die letzten zwei Jahre immer mehr heruntergeschlittert, er hatte kürzlich auf die Rückzahlung der Schuld gedrängt. Er drohte seinem Schwager mit der Pfändung, die er durchaus den Seinen ersparen wollte. Daß der Zusammenbruch des Wohlstandes mit dem der Freundschaft verquickt war, machte Müller Hartberg zu einem düsteren Mann, der nach der Arbeit auf einem Hocker in seinem bald leeren Stall saß und niemand antwortete; denn er hatte sich alles Laute auf den heutigen Tag aufgespart. Er war bereit, dem Elster an die Gurgel zu gehen für jede Mark, die er morgen seinem Schwager zurückzahlen mußte. Zwei-, dreimal waren ihm die gelben Handzettel zugestopft worden. Während er wartete, verdeckte allmählich das vertraute,quälende, schwer zu hassende Gesicht des Schwagers mit dem hellen, gesträubten Schnurrbart das Bild dieses Zettels: der fremde Mann im Gummimantel. Müller Hartberg erblickte ihn erst im letzten Augenblick in der inneren Tür. Er schrie: »He, Elster, da bin ich!« Elster erwiderte, ohne sich von der Stelle zu rühren: »Seh ich, daß Sie da sind. Aber ich bin nicht da.« Müller Hartberg kam jetzt zwischen die Tische. Vorhin, auf die Rufe der anderen, hatte niemand geachtet, aber bei seinem Ruf hatten alle die Köpfe herumgedreht. Ein Bursch mit einer Pfeife, der grade draußen vorüberkam, hielt sein Vieh zurück, indem er die beiden Stricke schnell um die Handgelenke drehte. Müller Hartberg faßte Elster an einem Knopf an. »Ich bin mit drei Stück da. Wir sind verabredet.« Elster sagte: »Heut wird nichts draus.« Er sah den andern ruhig an, wie er gewohnt war, vom Handeln aufgeregte Bauern anzusehen. Dieser Blick brachte den Müller außer sich. Ihm schien es, seine Stirn sei offen wie der Dachstuhl eines brennenden Hauses. Sein Unglück sei sichtbar. Kein Mensch könnte hineinsehen und ruhig bleiben. Er packte Elster am Arm. »Ich kann jetzt
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