Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
nennste gut? Wir werden dir schon mal ganz anders daherkommen.« Kunkel fragte über die Köpfe weg: »Fährste denn noch nicht zurück, Marie? Biste denn immer noch da? Gefällt’s dir so gut bei uns?« Marie sagte: »Vorerst mal.« Dann rief sie: »Ach, Gottlieb, du siehst auch gut aus! Wirklich.«Alle lachten. Gottlieb Kunkel wurde rot. In seinem jungen, verbrannten Gesicht war der Blick unentschlossen. Marie hatte schon die Hand ausgestreckt, um durch sein Haar zu fahren, ließ es aber, befühlte den Stoff seines Ärmels. »Wirklich gut.«
Vorne fingen sie wieder an zu singen. Marie sang mit. Die anderen sangen leise, um sie besser herauszuhören. Ihre Stimme war ruhig und tief mit allen Möglichkeiten der Freude und des Kummers und der ganzen Last der Liebe. Als sie fertig war, ließ sie den Kopf hängen. Das Auto hielt mit einem Ruck. Kunkel sagte: »Los, ab, Marie. Das Stück gehste allein.« Marie hüpfte ab, jemand reichte die Handtasche. Sie hörte schon das Lastauto unter kurzen, abgesetzten Heilrufen ins Dorf einfahren.
III
Sie ging hundert Schritte. Dann begann die Dorfgasse mit Konrad Bastians Garten auf der einen Seite und Kunkels Treibhaus auf der andren. Schon hatte das Auto die Gasse durchfahren und fuhr auf offener Straße gegen das nächste Dorf. Auf der Gasse lagen weiße Zettel herum. Von den Rufen herbeigelockt, standen etliche Männer und Frauen vor ihren Häusern, Zettel lesend. Marie hob einen auf und las gleichfalls, um nicht sofort ins Haus zu müssen. Aus demselben Grund faltete sie das Blatt langsam zusammen und steckte es in die Tasche. Sie seufzte und trat ein. Die Algeiers saßen noch um den Tisch, Vater, Mutter und Paul. Mutter und Bruder waren breit und rund wie Marie, der Vater war dürr, sein Bart war fahrig. Auf dem Tisch stand ein Brotlaib und ein Teller mit ein paar Wurstscheiben. Marie sagte: »Guten Abend«, ohne jemand anzusehen. Sie setzte sich und machte sich ein Brot zurecht. Alle betrachteten mürrisch das große, schwere, kauende Mädchen. Die Mutter fragte: »No, wieis es gegangen?« Marie sagte: »Ich hab meine Klamotten bei Frau Struwe abgeholt. Sie waren dort richtig abgegeben. Mein Dienstbuch auch.« Die Mutter fuhr fort: »Na, und das Geld bis zum Fünften?« – »Ich werd mich doch für die paar Mark nicht groß ins Zeug legen.«
Jetzt jammerte die Mutter aus voller Kraft los: »Das sagste so hin, ein paar Mark, bum, Punkt. Frech biste sicher gewesen, übers Maul biste der Gerber gefahren, wie de’s auch zu Haus machst. Warum soll se dir sonst kündigen? Ausgerechnet jetzt nach fünf Jahren? Und haste vielleicht an uns gedacht?
Seit fünf Jahren schickste uns alle Monat deine fünfundzwanzig Mark. Das soll nu aufhören. Und die Abzahlung an Kastrizius, wie soll denn die weitergehen, fünfzehn Mark bis zum ersten Januar, jeden Monat. Und die Lichtrechnung. Du, du, wie denkste dir das? An so was denkste ja nicht, du. Weißt du denn, du Stück, was das ist, fünfundzwanzig Mark?«
Marie sagte: »Soll ich vielleicht nicht wissen, woher es kommt? Hab ich’s geschissen all die Zeit?« Die Mutter haute ihr eins, das knallte. Paul drehte sein Gesicht weg. Marie schnuffelte die Tränen. Die Mutter weinte jetzt auch. »Und jetz, was willste jetz? Dich weiter hier herumdrücken? Dich weiter angaffen lassen? Daß alles rumfragt: Die Marie, die Marie, die Marie. Dich vollfressen, mit ’ner rosa Bluse daherkommen. Du Stück du, du Rumdrückern!« Marie sagte: »An Arbeit fehlt’s ja hier nich.« – »Wenn ich nur rauskrieg, warum sie dir gekündigt hat.«
»Jetz sei doch mal still. Sie hat gekündigt, weil ihr Mann gekündigt ist bei der Bank, da guck doch in mein Zeugnis, ›treu und fleißig‹.«
Jetzt stand der Bauer auf. Die Frau schwieg. Es war auf einmal still im Zimmer, schwerer Abend, jetzt, da das Geschimpfe der Frauen abgebrochen war. Der Bauer sagte gar nichts. Auch jetzt sagte er bloß: »Paul, gib den Hut!« Die Frau fragte ängstlich: »Wo willste denn hin?« DerBauer erwiderte ruhig: »Man kann das überhaupt nicht aushalten.« Er knickte in den Knien ein, um seinen Hut unter dem Türbalken durchzulassen. »Komm mit, Paul.« Als er draußen war, fing die Frau von neuem an, aber sie kam jetzt nicht mehr in Schwung. Sie schrie bloß: »Tu dies, tu das.« Als die Arbeit fertig war, stellte Marie einen Stuhl an das Sofa und machte sich ihr Nachtlager. Die Mutter fing noch mal an, wie jeden Abend: »Und en Bett is nich mehr da für dich. Da kannste
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