Der Kopflose Rächer
möglich hinter sich bringen. Am Tag hatte er schon genug Aufsehen erregt, die nächsten Taten würden bei Dunkelheit geschehen, und das wiederum ließ Brenda Tradlin hoffen.
Früher hatte sie die Dunkelheit nicht gemocht, heute war das anders.
Sie stand noch immer im Flur. Allmählich hatte sie sich beruhigt, aber da gab es etwas, über das sie nicht hinwegkam. Es war einfach der widerliche Geruch, der sich nicht vertreiben ließ. Er hing überall. Er hatte sich in den Wänden ebenso festgesetzt wie in der Kleidung, der Decke und dem Fußboden.
Es war der Geruch von Glut und – ja, wonach roch es sonst noch?
Brenda überlegte, wobei es ihr nicht gelang, so schnell eine Antwort zu finden. So roch keine alte Kleidung, eher fauliges und brakiges Wasser.
Brenda schüttelte sich und dachte daran, daß sie kein Putzwasser im Eimer hatte stehenlassen. Es mußte einen anderen Grund haben. Sie schluckte, denn sie kannte ihn sehr genau, sie wollte nur nicht zugeben, wonach es roch.
In der Wohnung befanden sich zwei Leichen. Eigentlich hätten sie in ein Kühlhaus gehört, das aber stand ihr leider nicht zur Verfügung, so hatte sie die beiden Körper in den Wandschrank gestopft und die Köpfe umwickelt im Bad versteckt.
Es gab keinen Raum in der Wohnung, in dem sich der Geruch nicht gehalten hätte. Langsam ging Brenda in die Küche.
Der Kopflose saß am Küchentisch. Als Brenda die Tür weit aufdrückte, sah sie ihn vorsieh. Er hatte die Decke abgenommen, trug noch immer seine Jacke und die Fliege auf seinem Hemd, das schon lange nicht mehr weiß war.
Bevor sie das Licht einschaltete, bedeckte sie das Fenster mit dem Vorhang. Über dem Küchentisch leuchtete die Lampe, und ihr Licht schien auch gegen den Kopflosen.
Brenda Tradlin hatte sich eigentlich setzen wollen, doch jetzt blieb sie stehen. Der Anblick des kopflosen Zombies hatte sie zutiefst erschreckt.
Nicht daß er sich großartig verändert hätte, er war nur mehr verfallen.
Sie konnte es am besten an seinen Händen erkennen, die auf dem Tisch lagen und ein Blatt Papier festhielten. Es war teilweise beschrieben. Auf dem Blatt lag noch der Kugelsch rei ber.
Die Haut war nicht mehr wie sonst. Sie war übersät mit dunklen Flecken, die Brenda an übergroße Muttermale erinnerten, es aber nicht sein konnten, denn diese Flecken sahen irgendwie anders aus. Sie waren dunkler, zugleich auch heller. Leichen flecken!
Die ersten Anzeichen einer fortschreitenden Verwesung.
Sie schluckte.
Langsam setzte sie sich nieder, ohne den Richter aus den Augen zu lassen. Viel mehr als die Hände war von seiner Haut nicht zu sehen.
Brenda konnte sich sehr gut vorstellen, daß es auf seinem Oberkörper kaum anders aussah.
Ihr wurde plötzlich bewußt, daß sie trotz allem einen Toten in ihrer Wohnung beherbergte. Jemand, der sich zwar bewegen konnte, dennoch aber zerfiel. Er war eine Abart des Traumes von der ewigen Jugend oder des ewigen Lebens, das gab es nicht, denn der Körper machte da nicht mit. Sie wußte nicht, wie er im Endstadium aussehen würde, dazu reichte ihre Vorstellungskraft nicht aus, aber es würde für sie einfach widerlich sein, darauf mußte sie sich schon einstellen.
Ihr Magen rebellierte. Sie spürte den Druck und auch den sauren Geschmack, der sich vom Hals her löste und allmählich über die Zunge glitt.
Und sie nahm den Geruch wahr, den ihr Gegenüber ausströmte. Ein widerlicher Gestank, denn so rochen verwesende Leichen.
Sie schüttelte sich plötzlich, wollte aber nicht daran denken, was sie falsch gemacht haben könnte, sondern schaute zu, wie sich die Hände des Kopflosen zuckend bewegten und wie er den teilweise beschriebenen Zettel verschob. Es war eine Nachricht für sie, und Brenda nahm ihn mit zitternden Fingern entgegen.
Sie las die Worte. Danach flüsterte sie die Botschaft vor sich hin. »Wir werden uns in dieser Nacht Mac Maschke holen. Du wirst mir helfen, du rufst ihn an.«
Brenda schwieg eine Weile. Sie mußte ihre Gedanken erst ordnen. Dann stand sie auf, holte sich etwas zu trinken und starrte zu Boden. Durch ihren Kopf irrten verschiedene Gedanken, und sie gestand sich allmählich ein, daß sie vor dem Kopflosen Angst hatte.
Ja, eine irre Furcht, denn diese lebende Leiche würde sehr bald alles kontrollieren.
John Sinclair!
An ihn hatte sie sich in ihrer ersten Panik gewandt, und auch jetzt dachte sie an ihn. Wenn ihr einer helfen konnte, dann war es es!
Sie mußte ihn finden, er mußte kommen, aber sie mußte es
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