Der Kopflose Rächer
geschickt anfangen. Plötzlich wollte sie nicht länger mit dieser Gestalt zusammenbleiben. Wenn sie daran dachte, daß der Körper immer stärker verweste, er sein Leichengift abgab, und…
Sie ging auf den Tisch zu. Die Gedanken hatte sie verdrängt. Auch den an die beiden Toten im Schrank und an die verfluchten Köpfe im Badezimmer.
Sie setzte sich nieder und dachte darüber nach, daß diese Gestalt es tatsächlich schaffte, auch ohne Kopf Gedanken zu formulieren. Wo, zum Henker, befand sich denn jetzt sein Zentrum, wenn er seinen Kopf verloren hatte?
Nein, der war noch da.
Brenda erinnerte sich, ihn hinter dem Fenster gesehen zu haben. Er war dann zusammen mit dem Körper aus dem Leichenhaus verschwunden gewesen, so zumindest hatte es in den Protokollen gestanden.
Es war alles sehr seltsam für sie und gleichzeitig auch nicht zu begreifen. Brenda wußte, daß Jerome T. Harker von ihr eine Antwort auf das Geschriebene erwartete, deshalb griff sie nach einem neuen Zettel und schrieb ihre Frage auf. Sie war gespannt darauf, ob er – als Kopfloser – sie ›lesen‹ konnte.
Was soll ich tun? Wie soll ich ihn erreichen? Soll ich versuchen, ihn anzurufen und ihm eine Falle stellen? Soll er herkommen, damit du ihn töten kannst? Brenda las die Fragen noch einmal durch und fand nichts, was ihr nicht gefallen hätte. Dann schob sie den Schrieb dem Kopflosen zu.
Obwohl der Richter weder etwas sehen noch hören konnte, wußte er über die Handlung der Frau Bescheid. Er nahm den Zettel mit gekrümmten Händen entgegen.
Brenda Tradlin schaute dabei auf die Finger. Sie waren widerlich und kamen ihr vor wie vertrocknete Würmer, dazu mit einer Haut versehen, die sich immer mehr veränderte und irgendwann auseinanderfallen würde.
Er hatte den Zettel vor sich liegen. Die schon aufgefaulten Kuppen tasteten das Papier ab. Sie glitten über das Geschriebene hinweg, und Brenda bekam plötzlich große Augen. Sollte es denn möglich sein, daß er durch Tasten, ähnlich wie ein blinder Mensch, lesen konnte?
Es schien tatsächlich so zu sein, denn als er auch den letzten Buchstaben abgetastet hatte, suchte seine rechte Hand nach dem Kugelschreiber, um eine Nachricht für Brenda zu hinterlassen.
Sie schaute ihm staunend zu, wie er mit krakeligen Buchstaben eine neue Botschaft schrieb. Sie war nur kurz, und er schob Brenda den Zettel wieder rüber, so daß sie ihn lesen konnte.
Ja, ruf ihn an. Er soll kommen. Du bist unverdächtig.
Brenda Tradlin schloß die Augen. Nicht weil sie den Kopflosen nicht mehr sehen wollte, sie brauchte Zeit, um sich zu konzentrieren und nachzudenken. Sie mußte alles in die Reihe kriegen. Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf. Sie dachte daran, daß sie jetzt die große Chance erhalten hatte.
Brenda öffnete die Augen wieder. Sie nickte, obwohl der andere das nicht sehen konnte, wahrscheinlich spürte er es. Er bewegte sich auch nicht, als sie den Stuhl zurückschob und langsam aufstand.
Das Telefon war die große Chance!
Brenda ging auf die Küchentür zu. Sie bewegte sich dabei ziemlich langsam, und sie hatte das Gefühl, durch eine dichte Nebelwand zu schreiten.
Es lag einfach an der Luft in der Küche. War sie dicker geworden?
Brenda dachte darüber nicht nach, sie wollte sich auch nicht an die beiden Torsi und die Köfpe erinnern. Eine neue Lebensphase hatte für sie begonnen.
Als sie die Küchentür hinter sich zuzog, da war es ihr, als hätte sie das alte Leben verlassen, um auf der Schwelle zu einem neuen zu stehen.
Das Telefon spielte jetzt die wichtigste Rolle. Allerdings hätte sie auch die Chance nutzen und fliehen können, doch das wollte sie nicht. Sie fand sich zudem schuldig, und sie wollte gewisse Dinge bis zum bitteren Ende durchstehen.
Der Apparat stand im Wohnzimmer. Sie blieb davor stehen und schaute auf ihn nieder. Auch in diesem Raum hatte der Gestank seinen Weg gefunden. Sie telefonierte noch nicht. Aus dem Schrank holte sie einen Parfümflakon, drückte mehrere Male auf den kleinen Gummiball und verteilte den Sprüh im Zimmer.
Ein süßlicher Geruch überlagerte den Gestank des Moders. Wer nicht genau informiert war, würde den ersten kaum riechen.
Brenda Tradlin war zufrieden. Sie blieb vor dem Apparat stehen und hob den Hörer ab.
Das Freizeichen kam ihr wie ein Geschenk des Himmels vor. Da sie über die Rachetour des Kopflosen informiert worden war, hatte sie sich wichtige Telefonnummern notiert. So etwas kannte sie von ihrem Job her, und davon kam sie
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