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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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schwer. Reden sobald Mond weg.«
    Der junge Gelehrte beobachtete fasziniert, wie sie den Mund wie in Grimassen bewegte, um die Laute zu bilden.
    »Ich soll zum Neumond wiederkommen, da du besser sprechen kannst, wenn du dich in einen Menschen verwandelst?«
    Die Nixe nickte. »Nicht fressen, wenn helfen.«
    Icherios schluckte. Er hatte bisher verdrängt, in welcher Gefahr er schwebte, nun kehrte die Angst umso heftiger zurück, und sein Zittern verstärkte sich. Schnell schätzte er ab, wann der nächste Neumond sein würde – noch mindestens ein halbes Dutzend Tage.
    »Das dauert zu lange, bis dahin könnte es zu spät sein.«
    Die Nixe stieß einen Zischlaut aus, der vermutlich dem Seufzen eines Menschen entsprach. »Böser Mann fragen. Schatten töten.«
    Also hatte das Schattenwesen tatsächlich die Nixe getötet. Aber warum? Und von was für einem Mann sprach die Nixe? »Ich werde ihn fangen, doch dazu brauche ich mehr Informationen.«
    »Hazecha.«
    »Die Hohepriesterin des Hexenzirkels?«
    Die Nixe nickte mit einer reptilienartigen Bewegung.
    »Ist sie in den Mord verwickelt?« Der junge Gelehrte fürchtete die Antwort. Falls Hazecha an den seltsamen Vorgängen beteiligt war, wäre auch Gismara nicht unbeteiligt.
    »Nein, sie fragen.«
    »Ich verstehe.« In einem Anflug von Mut rang er sich zu einem Versprechen durch. »Ich werde den Mörder fangen.«
    Ihre Lider schoben sich kurz seitlich vor die Pupillen, dann blickte sie ihn wieder an. »Danke.« Blitzschnell drehte sie sich um und verschwand in den Fluten.

33
    Kroyan Nispeth
    G
    15. Novembris, Heidelberg
    I n der Mittagspause zwischen den Vorlesungen stand Iche­rios erneut vor dem Haus des Puppenmachers Kroyan Nispeth. Es war ihm nicht leichtgefallen, Marthes davon zu überzeugen nicht mitzukommen. Ihr letzter Ausflug hatte ihn zwar gelangweilt, trotzdem verlangte er ständig, mehr über Icherios’ Tätigkeit zu erfahren.
    Die Tür zum Geschäft stand offen. Nach dem Besuch bei dem anderen Puppenmacher bekam der junge Gelehrte ein ungutes Gefühl, als er die heruntergekommene Fassade betrachtete. Nispeth schien keinen großen Wert darauf zu legen, dass Kunden sich bei ihm wohlfühlten.
    Als er in den Laden ging, fiel ihm als Erstes der betäubende Gestank auf, der ihm entgegenschlug. Es roch nach Verwesung und Tod, doch vermochte Icherios nicht, die Quelle des Geruchs auszumachen. Die Wände waren zwar feucht, aber der Ausstellungsraum ordentlich aufgeräumt und die zierlichen Puppen von herausragender Machart. Hatte Nispeth es deshalb nicht nötig, sein Auftreten angenehm zu gestalten, weil seine Arbeiten so gut waren?
    Dann erblickte Icherios den Händler, und der Verdacht, den Mörder seines besten Freundes vor sich zu haben, breitete sich in ihm aus. Nispeth war ein sehr kleiner Mann, der trotz seiner mageren Statur einen runden Kopf mit tiefen Falten besaß. An seinen linken Arm hatte er ein Nadelkissen gebunden, und als der junge Gelehrte ihm in die blassgrünen Augen blickte, raubte ihm der Schrecken fast den Atem. In ihnen schwelte der Funke des Wahnsinns. Icherios’ Blick wich instinktiv auf den Kopf des Mannes aus, der nur noch von einzelnen Strähnen fettigen, grauen Haares bedeckt war.
    »Wie kann ich Euch helfen?«, knurrte der Händler. Seine Worte klangen zuvorkommend, seine Stimme schien allerdings etwas ganz anderes zu fordern.
    »Ich suche eine Puppe für die Tochter meines Freundes.« Es kostete den jungen Gelehrten viel Kraft, ein unbefangenes Lächeln auf die Lippen zu zwingen.
    »Sucht Euch eine aus.« Nispeth deutete auf seine Ausstellung. Icherios fiel in der Nähe der Tür, die zum Nachbarraum führte, eine atemberaubend schöne Puppe auf, die ein weißes Kleid mit rotem Blumendruck trug.
    »Diese gefällt mir.« Icherios nahm sie vorsichtig hoch, während er zur Tür schielte. Dahinter lagen weitere Räume und eine Kellertreppe, von der der Gestank zu kommen schien.
    »Fünf Gulden.«
    Der junge Gelehrte nickte und holte ohne mit der Wimper zu zucken seinen Geldbeutel hervor. Inzwischen hatte er sich an die Preise gewöhnt.
    »Das Mädchen würde sich sehr freuen, wenn ich ihr etwas über die Herstellung der Puppe erzählen könnte. Wärt Ihr so nett, mich ein wenig herumzuführen?«
    »Ich hab zu tun. Kauft Janine, oder lasst es.« Nispeth starrte ihn bösartig an.
    In Icherios keimte der Verdacht auf, dass der Händler wusste, warum er hier war. Sein Inneres krampfte sich zusammen. Er nahm die Münzen, legte sie auf den

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