Der Kraehenturm
seine Schuhe.
»Für so etwas habe ich keine Zeit.« Gismara schlug ungeduldig mit der Hand auf den Tisch. Franz blickte sie beschwörend an.
»Ich muss mit Hazecha reden«, stieß Icherios hervor.
Für einige Augenblicke war nur das Knistern des Feuers zu hören.
»Das halte ich für keine gute Idee.« Franz nippte an seinem Wein. »Sie ist nicht ungefährlich und nicht so duldsam wie Gismara.«
Icherios versuchte Anzeichen dafür zu entdecken, dass Franz einen Witz machte. Gismara und duldsam?
»Soll er sich doch beweisen«, wandte die Hexe ein. »Wenn er eine Unterredung mit ihr übersteht, wissen wir zumindest, dass er nicht völlig nutzlos ist.«
Icherios funkelte sie böse an, wagte aber nicht, ihr zu widersprechen. Er musste Hazecha sehen.
»Was willst du von ihr?«, fragte Franz. »Vielleicht können wir dir helfen?«
Der junge Gelehrte schüttelte abwehrend den Kopf. Er wollte nicht noch jemanden mit hineinziehen. Zudem musste er wieder an Freybergs Warnungen denken.
»Ich muss ihr eine Frage stellen, die ich niemand anderem verraten darf. Es tut mir leid.«
Franz blickte ihn traurig an. »Also gut. Ich hoffe, du weißt, dass du mir vertrauen kannst.«
Icherios nickte und hoffte, dass ihm Franz seine Zweifel nicht anmerkte.
»Kommt morgen zur Mittagsstunde zum Hexenturm. Ich bringe Euch zu ihr.«
»Ich werde da sein.«
»Das will ich für dich hoffen.« Gismara stand auf und hauchte Franz einen Kuss auf die Wange. »Danke für das Essen, mein Lieber.« Dann rauschte sie hinaus.
Icherios ertrug Franz’ prüfende Blicke nicht lange und zog sich in sein Zimmer zurück. Er versuchte sich mit Lesen abzulenken, um nicht an die geheimnisvollen Puppen, Nispeth, die Morde und seine bevorstehende Begegnung mit Hazecha zu denken. Es gab so viele Dinge, die er nicht verstand. Mit dem Eindringen der Magie in seine Welt hatte er das Gefühl, langsam den Halt zu verlieren. In Dornfelde hatte ihn die Gewissheit getröstet, dass zu Hause ein normales Leben auf ihn wartete. Inzwischen gab es keinen Ort mehr, an den er flüchten konnte.
34
Hazecha
G
17. Novembris, Heidelberg
D ie Vorlesungen am Morgen brachte Icherios im Halbschlaf hinter sich. Er hatte dem Verlangen nach Laudanum widerstanden, aber der Preis dafür war hoch. Er hatte so gut wie keinen Schlaf gefunden.
Inzwischen hatte er sich an den eintönigen Ablauf seines Studiums gewöhnt, und angesichts des Chaos und der Ungewissheit, die sein sonstiges Leben beherrschten, begann er die Langeweile fast zu schätzen.
»Ich komme heute Nachmittag eventuell nicht«, flüsterte Icherios Marthes zu. »Falls einer fragt, ich bin krank.«
»Warum?«
»Ich muss etwas Wichtiges erledigen.«
»Wieder Weibergeschichten, oder hast du einen Auftrag?«
»Weibergeschichte.« Der junge Gelehrte vermied es, Marthes ins Gesicht zu blicken, obwohl seine Antwort nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Es behagte ihm nicht, seinen Freund erneut anzulügen, aber er wusste, dass Marthes darauf bestehen würde mitzukommen, und er wollte ihn nicht tiefer in die düsteren Vorgänge in Heidelberg ziehen. Zu sehr fürchtete er, auch diesen Freund zu verlieren.
Als er gemeinsam mit Marthes die Domus Wilhelmiana verließ, um seinen Freund nach Hause zu begleiten, bevor er sich zum Magistratum und anschließend zu dem Treffen mit Hazecha begab, bedeckte den Himmel eine triste graue Wolkendecke, die in Vorankündigung eines heftigen Schneetreibens einen gelblichen Stich hatte. Das Pflaster war rutschig und der junge Gelehrte so darauf konzentriert, nicht zu stürzen, dass er die Frau, die aus dem Schatten eines Gebäudes trat, erst bemerkte, als Marthes ihn am Ärmel packte und zum Anhalten zwang.
Trotz der weiten Kapuze aus taubenblauer Seide, die ihre schwarzen Locken vor der Feuchtigkeit schützte, erkannte Icherios die Vampirin sofort.
»Wir müssen reden«, Carissimas samtige Stimme duldete keinen Widerspruch.
Marthes starrte sie mit aufgerissenem Mund an. »Ist das …?«
»Lässt du uns bitte alleine?«, bat ihn der junge Gelehrte.
»Natürlich«, stotterte Marthes und geriet auf dem glatten Boden ins Schlittern, da er seine Augen nicht von der wunderschönen Vampirin lösen konnte. »Jetzt verstehe ich dich«, flüsterte er Icherios zu. »Wir sehen uns morgen.« Damit verschwand er um die nächste Straßenecke.
»Ein Freund von dir?«
»Warum bist du hier und setzt dich dem Tageslicht aus?«
»Ich weiß, dass du mich mit Avrax gesehen hast.«
Icherios
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