Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
Vom Netzwerk:
fiel in langen Wellen bis zur Hüfte hinab und umspielte ihre ­schmale Taille und die vollen Brüste. Ein hellgraues Kleid mit dunkelroten Stickereien betonte ihre klaren, taubengrauen Augen, die Icherios aufmerksam beobachteten. Der junge Gelehrte konnte sich nicht von ihren sanft geschwungenen Lippen, ihrem weichen Kinn und den hohen Wangenknochen losreißen.
    Hazecha schien derartige Reaktionen gewohnt zu sein. »Tritt ein«, forderte sie ihn ruhig auf.
    »Ich wollte nicht stören, Herrin«, stotterte Icherios und verbeugte sich linkisch.
    Hazechas Lächeln raubte Icherios den Atem. »Es war die erste Prüfung. Nur wer wirklich nach Antworten sucht, öffnet diese Tür.«
    Der junge Gelehrte starrte sie stumm und scheu an. Er hatte eine ältere, warzenbedeckte Frau erwartet. Schöne Frauen brachten ihn noch immer in Verlegenheit.
    »Schließ die Tür, und setz dich«, verlangte Hazecha.
    Vor Aufregung zitternd befolgte Icherios ihre Anweisungen und setzte sich unbeholfen auf ein dickes, grünes Kissen.
    »Gismara bat mich, mit dir zu sprechen. Sie versicherte mir, dass du mir und den meinen nichts Böses willst. Ist dem so?« Ihre Augen schienen bis in seine Seele zu sehen.
    »Nein«, stotterte er. »Ich meine, ich beabsichtige nicht, Euch zu schaden.«
    »Du weißt, was ich bin?«
    »Eine Hexe?«
    Hazecha lachte. »Zumindest bezeichnen die Menschen in Heidelberg mich so.«
    »Könnt Ihr fliegen?« Icherios biss sich auf die Zunge, als er die Frage stellte, aber seine Neugierde war zu stark. Selbst im Monstrorum Noctis gab es die unterschiedlichsten Aussagen über Herkunft und Fähigkeiten der Hexen.
    Diesmal klang Hazechas Lachen aufrichtig amüsiert. »Nein, ich kann nicht auf einem Besen durch die Nacht reiten. Aber ich sehe, dass Gismara nicht gelogen hat, als sie mir einen wachen Geist ankündigte.«
    Icherios war überrascht. Gismara dachte so von ihm?
    »Ich will dir etwas über Hexen erzählen, das ich sonst keinem Menschen gewähre. Wo sie herkommen, ist nicht geklärt. Manche schreiben ihr Entstehen Hermes Trismegistos und seinen Experimenten zu, andere, wie Gismara, glauben von Göttinnen abzustammen und von ihnen gesegnet zu sein. Da es die verschiedensten Arten gibt – Pythonissa, Hagzissa, Incantatrix, Saga, Maleficia und Striga –, mag es sein, dass sie alle unterschiedliche Entstehungsgeschichten haben und die Menschen sie nur aufgrund ihres Geschlechts als Hexen bezeichnen. Die Einzigen, die in der Lage sind zu fliegen, sind die Striga. Legenden behaupten, dass es einst Incantatrix gab, die die Fähigkeit besaßen, Zauber auf unbelebte Gegenstände zu legen und sich mit deren Hilfe in die Luft zu erheben. Aber selbst Gismara, obwohl sie eine der mächtigsten Hexen unserer Zeit ist, vermag es nicht.«
    Icherios bemühte sich, diese Informationen zu behalten, um sie sich später zu notieren. Allein wegen dieser Erkenntnisse hatte sich der Besuch bereits gelohnt.
    »Und was seid Ihr?«
    Hazecha lachte. »Eine andere Art Hexe. Mehr brauchst du nicht zu wissen.« Dann wurde sie ernst, ihre Stimme geschäftsmäßig. »Aber deshalb bist du nicht hier, oder?«
    Icherios holte tief Luft. »Ich habe eine Frage und erhoffe mir eine Antwort von Euch.«
    »Wissen ist eines der kostbarsten Güter auf dieser Welt. Der Preis wird hoch sein.« Hazecha stand auf und holte ein Kästchen aus einem Schrank.
    »Ich habe Geld.« Der junge Gelehrte zog seinen Geldbeutel heraus.
    »Gold hat keinen Wert. Zeig mir die Ratte, die du vor mir zu verbergen versuchst.«
    Icherios wurde blass. Widerstrebend griff er in seine Manteltasche und holte Maleficium hervor. Der Nager blickte sich schläfrig um und protestierte nicht, als Hazecha ihn hochhob. Icherios roch ihren erdigen Duft, als sie ihm so nahe kam.
    »Du kannst deinen Mantel nun ablegen. Hier drin ist es warm.«
    Die Ohren des jungen Gelehrten liefen rot an. Er beobachtete genau, was die Hexe mit seinem kleinen Gefährten machte, während er seinen Mantel auszog. Aber sie war freundlich und sanft zu der Ratte.
    »Wie ist sein Name?«
    »Maleficium.«
    »Ein außergewöhnliches Tier.«
    Du hast keine Ahnung, wie besonders es ist.
    »Ich erlasse dir den üblichen Preis, wenn du es mir überlässt. Ich werde gut für es sorgen.« Sie stieß einen leisen Pfiff aus, und ein großer, schwarzer Kater trat hinter dem Vorhang hervor. Icherios hielt den Atem an, als er an den ­Nager herantrat, doch der Kater schnupperte nur an ihm, bevor er um seine Herrin umherstrich und

Weitere Kostenlose Bücher