Der Kraehenturm
einen Geistlichen sich zu verlieben, aber mir geschah es.« Raban senkte den Blick. Seine Finger verkrampften sich. »Was ich nicht wusste: Sie war eine Vampirin, und in einer finsteren Nacht verwandelte sie mich. Damit begann eine Zeit der Qual und des Glücks. Auf der einen Seite schenkte sie mir mehr Freude, als ich es mir je erträumt hätte.« Ein kurzes Lächeln umspielte Rabans Lippen. »Auf der anderen Seite wurde ich zu einer verfluchten Kreatur und brach mein Gelübde. Ich tötete unzählige Menschen, während ich Gott anflehte, diese Prüfung enden zu lassen.« Der alte Vampir kehrte den Gemälden den Rücken zu. Den Blick aus dem Fenster in den grauen Morgen gerichtet, fuhr er mit harter Stimme fort. »Unser Glück währte nicht lange. Vampirjäger der Kirche wurden auf sie aufmerksam und verbrannten sie, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte. Seitdem ist mein Leben einsam, und ich sehne den Tod mit jedem unseligen Herzschlag herbei.«
Icherios erkannte die tiefe Traurigkeit, die Raban beherrschte und die er sonst so gut verbarg. Er musste an Carissima denken. Er war sich nicht sicher, was er noch für die wunderschöne Vampirin empfand, vor allem da nun auch Julie in sein Leben getreten war. Carissima hatte ihm bei seinem Besuch in Dornfelde angeboten, ihn in einen Vampir zu verwandeln, doch er war nicht bereit gewesen, seine Sterblichkeit aufzugeben. Nachdem er nun einen Vorgeschmack auf das Dasein als Vampir bekommen hatte, war er das noch viel weniger als zuvor.
»Ihr seid meine letzte Hoffnung.«
Der junge Gelehrte blickte ihn verwirrt an. Doch dann begann er zu verstehen. »Ihr habt mir das nur angetan, damit mein Hass auf Euch groß genug ist, um Euch zu töten?«
Raban seufzte. »Wenn Ihr mich umbringen möchtet, nur zu. Ich warte seit Jahrhunderten auf jemanden, der mich erlöst. Aber ich habe Euch nicht deswegen auserwählt. Ich hoffe, dass Ihr in der Lage seid, eine Heilung vom Vampirismus zu finden. Ihr wollt kein Strigoi mehr sein und ich kein Vampir, damit ich altern und sterben kann. Ihr könnt uns beiden helfen.«
Icherios’ Beine zitterten. Die Täuschung, der Mord an dem unglückseligen Mann, das alles war zu viel für ihn. Dann gewann der Zorn die Oberhand und spülte die Schwäche davon.
»Warum bringt Ihr Euch nicht selbst um? Stürzt Euch in ein Feuer, schneidet Euch die Adern auf.«
»Selbstmord ist eine Sünde.«
Icherios lachte verächtlich auf. »Ihr seid ein Vampir. Ihr habt unzählige Menschen getötet.«
»Gott hat mich zu dem gemacht, was ich bin«, donnerte Raban und fuhr zornig herum. »Gott erlegte mir diese Prüfung auf als Strafe für den Bruch meines Gelöbnisses. Ich werde nicht versagen. Ich werde keine weitere Sünde begehen.«
Der junge Gelehrte schüttelte den Kopf. Er konnte seine Logik nicht nachvollziehen, ebenso wenig wie sein unerschütterliches Vertrauen in Gott. Er wendete sich ab, ließ ein letztes Mal den Blick durch den Raum schweifen und ging zur Tür. Am Bett hielt er kurz inne. Er glaubte, den schwachen Geruch nach Veilchen wahrzunehmen und die Schemen einer schlanken Frau, die sich an der weißen Wand abmalten. Doch einen Lidschlag später war der Duft verflogen und die Erscheinung verblasst. Icherios drehte sich noch einmal um.
»Dann war all das nur ein Plan?«
»Es ist immer ein Plan. Menschen handeln nie aus Gefälligkeit und Vampire erst recht nicht. Ich unterstütze den Ordo Occulto seit Jahrzehnten. Ich hatte fast schon die Hoffnung aufgegeben, jemanden zu finden, der ein Heilmittel entwickeln könnte, bis Ihr kamt. Ihr seid der Einzige, in dem ich das Potenzial erkenne. Ich durfte nicht das Risiko eingehen, dass Ihr aus falschem Mitleid sterbt.«
»Und wenn ich mich vor der nächsten Andreasnacht umbringe oder mich von jemand Verlässlicherem einsperren lasse?«
Raban schüttelte den Kopf. »Ihr habt noch nicht genug Leid erlebt, um dies zu tun.«
Icherios zwang sich, bei seinen nächsten Worten ruhig zu klingen. Er wollte dem alten Vampir nicht zeigen, wie sehr er ihn verletzt hatte.
»Selbst wenn ich ein Heilmittel finde, habt Ihr verdient, für immer zu leben.«
Der junge Gelehrte verließ den Raum und eilte die Treppe hinunter. Kurz bevor er auf die Straße trat, hörte er Rabans tiefe Stimme durch das Haus schallen.
»Ich werde nach Heidelberg kommen, um Euch bei Euren Untersuchungen zu unterstützen.«
Icherios zögerte. Raban stand oben an der Treppe, seine Hände umklammerten das Geländer so fest, dass
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