Der Kraehenturm
ab, aber ich bemühe mich, mindestens einmal im Monat die entsprechende Anzahl Körper zu erhalten.« Crabbé bedeutete den anderen Studenten, näher zu kommen. »Lasst uns anfangen.«
Das Murmeln legte sich, während sich die jungen Menschen um den Professor sammelten.
»Wir haben heute drei Leichen, mit denen wir uns beschäftigen wollen. Ich teile euch in Gruppen auf und erwarte eine sorgfältige Dokumentation. David, du nimmst den mittleren Körper und weist Icherios in unsere Verfahrensweisen ein.«
David lächelte. Icherios war noch immer zu verärgert, um zurückzulächeln. Der Professor teilte ihnen zwei weitere Studenten zu, Ernst und Miche. Dann bedeutete er ihnen anzufangen.
Am Obduktionstisch erklärte David, dass die Studenten sich beim Führen des Protokolls abwechselten, damit die anderen sich auf die Arbeit konzentrieren konnten, und wies Miche an, als Erster ihre Erkenntnisse zu notieren. Zuerst begannen sie mit der äußerlichen Untersuchung. Vor ihnen lag ein gut genährter Mann mittleren Alters mit einem leichten Bauchansatz und einer beginnenden Glatze. Es fanden sich keine äußerlich sichtbaren Verletzungen oder Hinweise auf Ersticken. Auch nachdem sie ihn umgedreht und auf die Seite gelegt hatten, deutete alles auf eine natürliche Todesursache hin.
Beim nächsten Schritt war Icherios dafür verantwortlich, Protokoll zu führen, während David das Skalpell ergriff und den ersten Schnitt vollführte. Fasziniert beobachtete der junge Gelehrte, wie David den Brustkorb öffnete und mit einer Zange die Rippen durchtrennte. In den nächsten Stunden ging er völlig in der Arbeit auf. Das Kerzenlicht verlieh dem Blut, das sich nach und nach auf dem Boden ansammelte, einen goldenen Glanz, und der Duft der Kerzen überlagerte den Geruch von Verwesung und Fäkalien, der durch den Raum zog.
Dann war Icherios an der Reihe. Er sägte den Schädel auf, wog Organe und lernte in diesen Stunden mehr als in seinem bisherigen Leben über die Funktionen des menschlichen Körpers. Professor Crabbé ging derweil von einem Untersuchungstisch zum nächsten, stellte Fragen und erläuterte die Besonderheiten, die gefunden wurden.
Nachdem Icherios’ Gruppe mit ihren Untersuchungen fertig war, blieb dennoch eine Frage offen. Woran war ihr Untersuchungsobjekt gestorben? Sie hatten weder eine natürliche noch eine unnatürliche Todesursache gefunden.
»Manchmal müssen wir uns damit abfinden, nicht alle Fragen beantworten zu können«, erklärte Crabbé. »Deshalb sind wir hier; um unser Wissen zu mehren und eines Tages für jedes Problem eine Lösung zu kennen.«
Icherios nickte, aber zufrieden stellte ihn das nicht. Er hatte den Verdacht, dass sie etwas Entscheidendes übersehen hatten.
Crabbé bedeutete ihnen an die Tafel zu treten, an der er die wichtigsten Erkenntnisse des Abends zusammengefasst hatte. Leiche Nummer eins war an Herzversagen gestorben, während Leiche Nummer drei ein gebrochenes Genick zum Verhängnis geworden war. Nur hinter Leiche Nummer zwei, die der junge Gelehrte untersucht hatte, prangte ein dickes Fragezeichen.
»Wir haben einen erfolgreichen Abend hinter uns. Nach der Tradition der Gruppe wird unser neues Mitglied die Leichen zunähen und den Raum reinigen, damit die Körper morgen zum Friedhof überführt werden können.«
Icherios erstarrte. Ihm behagte der Gedanke nicht, alleine in der schaurigen Gruft mit den Toten zu sein.
»Deo volente.«
»Deo iuvante«, antworteten die jungen Männer.
David warf Icherios noch ein mitleidiges Lächeln zu, bevor er plaudernd mit den anderen Studenten verschwand. Dann trat der Professor zu dem jungen Gelehrten.
»Gute Arbeit.«
»Danke.«
»Ihr müsst den Boden nur grob reinigen. In der Ecke stehen Eimer mit Wasser und Lappen. Legen Sie die Innereien einfach in die Leichen, und nähen Sie sie zu. Vergessen Sie nicht, die Kerzen zu löschen und die Tür zu schließen. Wir wollen nicht, dass jemand unser Versteck findet und unangenehme Fragen stellt.«
Der junge Gelehrte hatte sich nicht als neue Putzkraft der Gruppe gesehen, aber da musste er nun wohl durch. Während Crabbé seine Sachen packte und mit einem Gruß verschwand, begann er die Leichen eins und drei zu versorgen. Es ging erstaunlich schnell, die Organe an ihren Platz zurückzulegen, den Brustkorb zu schließen und mit einer großen Nadel die Haut zusammenzunähen. Für den Schädel brauchte er etwas länger und holte sich eine Kerze, um besser sehen zu können. Dann wandte er
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