Der Krake
Nasenloch? Hey, alter Junge! Subby, Goss, Goss und Subby.
Gepeinigt erwachte er. Es war noch früh, und Billys Herz raste. Er setzte sich schwitzend auf dem Sofa auf und wartete, dass er zur Ruhe kam, doch das tat er nicht. Dane saß am Fenster, den Vorhang weit genug zur Seite gezogen, dass er die Straße im Auge behalten konnte, doch er sah nicht die Straße an, sondern Billy.
»Es liegt nicht an Ihnen«, sagte er. »Sie werden sich nicht besser fühlen.«
Billy gesellte sich zu ihm. Das Fenster stand einen kleinen Spalt weit offen. Er ging in die Knie und sog die kalte Luft in seine Lunge. Dane hatte Recht, er wurde nicht viel ruhiger. Billy ergriff das Fensterbrett, schob die Nase darauf wie in einem Kilroy-Graffito und starrte hinaus in die Dunkelheit. Da war absolut nichts zu sehen. Nur schwammige Tümpel orangefarbenen Lichts und Häuser, erbaut aus Schatten. Nur Mauersteine und Asphalt.
»Wissen Sie, was ich gern wüsste«, sagte er. »Die Männer des Tattoos. Nicht nur die mit den Händen, auch dieser Radiomann.« Dane sagte nichts. Billy ließ sich von der kühlen Luft umfangen. »Was hat das alles zu bedeuten?«
»Drücken Sie sich klarer aus.«
»Was sind die?«
»Alles Mögliche«, sagte Dane. »Da draußen gibt es Leute, die lieber Werkzeuge wären als Personen. Das Tattoo kann ihnen geben, was sie wollen.«
Das Tattoo. Man konnte es wohl kaum als »reizvoll«, bezeichnen, aber es hatte etwas, irgendetwas. Hegte jemand großen Selbsthass und trug doch ein zu großes Ego mit sich herum, um seinem Todestrieb einfach zu folgen, wenn jemand zugleich begierig auf Schweigen und Stille war und dazu getrieben von ausreichendem Neid, aber unberührt von Angst, dann mochte derjenige den brutalen Verlockungen des Tattoos erliegen. Ich werde dich nutzen. Willst du ein Hammer sein? Ein Telefon? Ein Licht zur Entlarvung von geheimem Kunsterquatsch? Ein Rekorder? Geh in die Werkstatt, mein Freund.
Man musste schon bemerkenswerte psychologische Fähigkeiten besitzen, um Terror, Schmeichelei und Kontrolle so erfolgreich zu verbinden, und das Tattoo witterte die Notleidenden und die, die sich ihrer Not bereits ergeben hatten. Das war seine Methode. Er war nie bloß irgendein Verbrecher gewesen. Einem einfachen Verbrecher sind deutlichere Grenzen gesetzt. Aber die besten Verbrecher waren auch samt und sonders Psychologen.
»Also war Grisamentum nicht der Dieb«, sagte Billy. Dane schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen. »Aber wir werden uns nicht mit ihm zusammentun.«
»Da gibt es zu viel ...« Dane brach ab und schüttelte nach einer langen Zeit erneut den Kopf. »Ich weiß es nicht. Nicht, solange wir nicht mehr wissen. Al hat irgendetwas mit dieser Geschichte zu tun, und er war Grisamentums Helfer. Ich weiß nicht, wem ich noch trauen soll. Außer mir selbst.«
»Haben Sie immer für die Kirche gearbeitet?«, fragte Billy unvermittelt. Dane sah ihn nach wie vor nicht an.
»Ach, wissen Sie, wir alle haben unsere, na ja, Sie wissen schon ...«, sagte er. »Wir alle erleben unsere kleinen Rebellionen.« Sei es die genehmigte Zeit jugendlichen Freiheitsdrangs oder eine verleugnete Glaubenskrise. Ein Flehen um Reinheit und Enthaltsamkeit, nur nicht gerade jetzt. »Ich war Soldat. Ich meine - ich war in der Army.« Billy musterte ihn milde verwundert. »Aber ich bin zurückgekommen, nicht wahr?«
»Warum?«
Nun schaute Dane Billy direkt an. »Was meinen Sie wohl?«, fragte er. »Weil Kraken Götter sind.«
Billy erhob sich. Und erstarrte. Die Beine halb verdreht und angewinkelt mochte er sich nicht rühren, um nur seinen Blickwinkel nicht zu verlieren, diesen Blickwinkel zum Fenster hinaus, der plötzlich etwas in ihm auslöste.
»Was ist los?«, fragte Dane.
Gute Frage. Die Straße, gut, die Lampen, auch gut, die Mauersteine, die Schatten, die Sträucher, die sich in zottige, finstere Bestien verwandelten, die Menschenleere der späten Nacht, die Dunkelheit in den Fenstern. Was war da zu viel?
»Etwas bewegt sich«, sagte Billy. Nahe dem Stadtrand kam ein Sturm auf sie zu. Das ungeordnete Herannahen der Wolken war einfach nur ungeordnet, doch durch das Fenster sahen sie aus wie eine sich selbst organisierende Tintenlache, so, als schaute er ein Geheimnis, als erhielte er Einblick in was auch immer dort an Metropolitopoiesis stattfand. Doch einen solchen Einblick gab es nicht. Was sollte er auch sehen mit diesen unzulänglichen Augen? Es war nur das Glas, das ihm etwas gab, einen Schimmer, einen
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