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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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schon einmal hier, Wati?«, fragte er.
    »Drin noch nie«, antwortete die Figur, die er bei sich trug. »Da drin ist nichts, wo ich reinkönnte.«
    Sellar klopfte an die Tür, ein kompliziertes, kodiertes Stakkato. Neben seinen Füßen stand eine Sammlung leerer Flaschen. Sellar legte das Ohr an das Holz, wartete und winkte Billy heran. Die Vorhänge im Erdgeschoss bestanden aus schwerer, rotbrauner Baumwolle; die im ersten Stock aus blaugrünem Paisley; auf denen im obersten Stockwerk prangten Cartoonpflanzen. Alle lagen direkt auf der Innenseite der Glasfläche auf.
    »Kommen Sie«, sagte Sellar.
    Sellar schrieb eine Nachricht, die Billy nicht sehen konnte, rollte sie auf und platzierte sie in einer der Flaschen. Dann drehte er den Deckel zu und schob die Flasche durch den Briefschlitz. Ein paar Augenblicke zogen dahin, aber nur ein paar. Billy erschrak, als der Schlitz sich öffnete und die Flasche wieder herausfiel und auf der Betonstufe zerbrach. Das Hundegebell ebbte nicht ab, auch nicht die Rufe der Kinder, die so spät noch spielten. Billy hob das Papier auf und hielt es so vor die Puppe, dass Wati es auch entziffern konnte.
    Das Papier war feucht. Die Tinte verteilte sich in fleckigen Koronen um die niedergeschriebenen Worte, bildete eine kunstvoll gekräuselte Schriftart, die sich über die Linien der Buchstaben hinaus ausbreitete.
    TEUTHIS IST NICHT LÄNGER UNSERE KREATUR. NICHT LÄNGER KREATUR. NICHT DES OZEANS. WIR HABEN MIT KRAKEN IN UNS GESPROCHEN, UM ZU ERFAHREN, WARUM. WEDER SIE NOCH WIR SIND GLEICHMÜTIG GEGENÜBER DEM, WAS KOMMT. ES IST KEIN PRINZLINGSREGENT, AUSERWÄHLT VON IHNEN ODER VON UNS, IN DEM TANK.
    Billy sah Wati an. »Und? Sagt dir das was?«
    »Ich glaube ...«, erwiderte Wati, »es ist nur ein Krake.«
    »Nur?«
    »Na, eben kein besonderer Krake, nehme ich an. Und ... aber, ich meine ... es ist nicht mehr ihrer, schätze ich.«
    »Dane dachte, an diesem Kraken wäre etwas Besonderes, darum wäre er gestohlen worden. Er dachte, der Krake könnte so etwas wie eine Geisel sein.« Ein Teil eines unvergleichlichen Gezänks unter Kraken. Kriegsherren in Fehde, Schlachten, ausgefochten mit der Geschwindigkeit einer Kontinentalverschiebung. Ein Jahrhundert für das Herankriechen jedes provinzlangen Armes, der sich um den eines Feindes windet; ein Biss, der Fleisch im Umfang einer ganzen Stadt verschlingt und sich über mehrere menschliche Dynastien hinzieht. Selbst die flüchtigen majestätischen Auseinandersetzungen ihres Krills, des Architeuthis, waren nur erbärmliche Knallfrösche im Gezänk ihrer Eltern.
    »Da muss etwas sein«, sagte Billy. »Es gibt noch andere Riesenkalmare auf der Welt. Warum dieser? Warum dreht sich alles um diesen einen? Was ist mit ... seiner Abstammung. Wo kommt er her?«
    »Sie hat gesagt, das wäre nicht so«, entgegnete Wati. »Die See.« Billy und die Figur starrten einander an.
    »Und warum sind wir jetzt hier?«, fragte Billy. »Warum führt dieses Krakenbaby zum Ende allen Seins?« Er stierte in die Augen der Puppe. »Was weiß die See wirklich? Oder die Kraken? Was ist mit ...? Wie wäre es damit, Wati - du könntest die Kraken doch direkt fragen.«
    Wenn sie ein Boot nahmen. Sie müssten sich ein Boot beschaffen und einen großen Buddha aus Eisen oder Messing oder so was in der Art. Da, wo das Wasser tief war, über einem Graben im Atlantik, könnten sie die Statue über Bord werfen, und Wati konnte sich auf die lange Reise in die Tiefe machen, hinabstürzen in eine erdrückende Dunkelheit. Am Ende käme er in Schlamm und Schleimaalknochen zur Ruhe. Dann könnte sich Wati höflich räuspern und warten, bis er die Aufmerksamkeit eines Auges erregt hätte, das kein Recht hatte, so groß zu sein. »Hallo! Gibt es einen besonderen Grund, warum dein kleines Planktonbaby die Welt in Brand stecken sollte?«, könnte er sagen.
    »Und wie soll ich da wieder rauskommen?«, fragte Wati. Es gab unzählige Statuen auf dem Meeresboden, doch wie weit mochten die von seiner Befragungsschlucht entfernt sein? Was, wenn sie außer Reichweite lagen und er dort unten in der Schwärze hockte und nichts anderes tun konnte, als sich furchtbar zu langweilen, während ihn allerlei leuchtende Fische befummelten, bis das Meer ihn aus der Statuenhaftigkeit und seinem Selbst herauserodierte? Gut, also: Hängen wir die schwerste Ankerstatue an das Ende einer Kette, an der viele andere künstliche Leiber hängen, sodass Wati, war die Befragung erst vorbei, einfach über die

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